Schwieriger Balance-Akt zwischen Offenheit und Diskretion
Wie viel Ehrlichkeit über eine Erkrankung kann man von Politikern verlangen?
Krebs: Wer diese Diagnose bekommt, dem zieht es zunächst einmal den Boden unter den Füßen weg. Es folgen Angst, Verzweiflung, Wut und ein Verlust an Selbstbestimmung in der Krankenhausbürokratie. Plötzlich übernehmen andere die Kontrolle über deinen Körper, dein Leben. Es gibt kein Patentrezept, wie man mit dieser Situation am besten umgeht. Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser hat sich entschieden, ihre Krankheit noch offener als seinerzeit Barbara Prammer zu kommunizieren (mehr dazu lesen Sie hier). Dafür ist ihr uneingeschränkt Respekt zu zollen. Und dieser Stil passt auch, weil sie schon bisher keine Scheu hatte, ihr sympathisch normales Leben öffentlich zu machen.
Trotzdem wäre es legitim gewesen, mit der (bereits am Dienstag publizierten) ersten Meldung wenigstens bis zur Gewissheit über die Bösartigkeit des Tumors zu warten. Die folgende Lawine an Genesungswünschen von Politikerkollegen war geradezu beängstigend. Als Privatperson würde man sich das in dieser sensiblen Phase wahrscheinlich nicht antun. Aber das ist wohl Typsache. Als Ministerin, obendrein für Gesundheit zuständig, steht Oberhauser jedenfalls unter spezieller Beobachtung. Wobei der mediale Scheinwerfer noch barmherziger ist als in den USA. Wenn dort ein Politiker erkrankt, ist absolute Offenlegung angesagt. Das geht bis zur Veröffentlichung von Röntgenbildern.
Bulletin über den Kaiser
Ganz neu ist dieses Phänomen aber selbst in Österreich nicht. Vom kranken Kaiser Franz Joseph gab es in seinen letzten Lebensjahren tägliche Bulletins mit Einzelheiten bis hin zum Stuhlgang. Viele Jahrzehnte war dann wieder Geheimniskrämerei angesagt. Man denke nur an Außenminister Alois Mock, der seine Parkinson-Erkrankung sogar dann noch leugnete, als sie längst nicht mehr zu verbergen war. Durch die enorme Belastung der EU-Beitrittsverhandlungen wurde das Leiden akut. Die Erinnerungsfilme zum zwanzigjährigen Jubiläum riefen das nahezu schmerzhaft in Erinnerung.
Auch Bruno Kreisky hatte verschwiegen, Dialysepatient zu sein, und bei Thomas Klestil war ebenfalls nie ganz klar, woran er eigentlich litt. Sogar der größte Sonnyboy unter den amerikanischen Präsidenten, John F. Kennedy, war schwer krank und medikamentenabhängig, ohne dass es das Volk damals erfahren durfte. Es hätte sein Image angekratzt. Mittlerweile ist es nur noch in Diktaturen verpönt, über die Gebrechen des "geliebten Führers" zu berichten.
Manchmal hat ein unverblümter Umgang eines Prominenten mit Krankheit sogar politische Folgen: Der Lungenkrebstod des starken Rauchers Kurt Kuch könnte die Reform des Tabakgesetzes beschleunigen. Aber es sei davor gewarnt, die Offenheit nur auf eine Krebsdiagnose zu beziehen. Andere Krankheiten können den Amtsträger im Falle des Falles noch mehr beeinträchtigen: etwa Alkoholsucht oder Depressionen. Der Grüne Rudi Anschober, der sein Burn-out öffentlich machte, ist hier bisher noch die Ausnahme.
Eines ist jedenfalls gewiss: Krankheit ist keine Schande, und natürlich hat die Öffentlichkeit ein Recht darauf zu erfahren, ob ein Spitzenpolitiker noch handlungsfähig ist.
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