Salomonisch: Homo digitalis
Im KURIER-Business-Magazin (Donnerstag-Ausgabe) hat ein Zukunftsforscher die „ Selbsterfassung“ propagiert. Das geht über den üblichen Prognose-Firlefanz hinaus (von wegen „Jahrhundert der Frau“ und so).
Die Daten sind längst vorhanden, Firmen ziehen gewinnbringend Schlüsse daraus – zum Beispiel aus der Analyse von Kundenkarten. Noch mehr Details liefern Handys, speziell Smartphones: Daraus lässt sich erkennen, wie viel der Besitzer reist, schläft, arbeitet, sich bewegt, wie gut er mit anderen vernetzt ist etc. Gemeinsam mit der Auswertung von Kreditkartenabrechnungen lässt sich ein schlüssiges Persönlichkeitsprofil anlegen. Dazu braucht man nicht einmal Facebook-Einträge und Google-Abbilder.
Am berühmten MIT in Boston beschäftigen sich Elite-Forscher damit, wie der einzelne Bürger und das öffentliche Gesundheitswesen von solchen Datenverknüpfungen profitieren könnten. Theoretisch lässt sich der digitale Fingerabdruck jedes Einzelnen für Vorsorgezwecke nutzen. Per SMS käme dann zum Beispiel eine Warnung: „Achtung, Sie haben Anzeichen von Diabetes, besuchen Sie Ihren Hausarzt“. Sogar psychische Krankheiten, an denen immer mehr Menschen laborieren, sind angeblich aus unseren Daten ablesbar. Klingt verheißungsvoll – und beängstigend.
Rein theoretisch könnte die individuelle Daten-Nutzung nämlich auch in ein Malus-System der Krankenkasse umfunktioniert werden – etwa, wenn jemand sein Verhalten trotz Info nicht ändert. So wichtig Vorsorge auch ist: Den stromlinienförmig gesunden, schlanken, sportlichen Menschen wird man nie erzeugen. Außerdem muss eine Abweichung vom Durchschnitt im Einzelfall nicht gleich pathologisch sein. Eine Warnung vor Depression mag aber vielleicht tatsächlich depressiv stimmen. Daten können überdies immer auch fehlinterpretiert werden – durch menschliches oder technisches Versagen.
Die USA mit ihren Elite-Unis sind das beste Beispiel für Widersprüchlichkeit: Trotz faszinierender Forschungsergebnisse klemmen viele Klospülungen, sind Fensterverschlüsse vorsintflutlich und schleudern Waschmaschinen mit Technik der 60er-Jahre. Das technisch theoretisch Machbare erreicht offenbar nicht immer das Alltagsleben. Manchmal ist das sogar ein Glück.
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