Angst vor dem Rückfall in die Fünfzigerjahre
Es schleicht sich im Namen des Islam allerlei Rückschrittliches ein.
Wenn türkische Organisationen in Wien, wie am Freitag, zur Demo rufen, dann ist klar: Hier agiert der verlängerte Arm des türkischen Präsidenten Recep Erdogan. Seine oft seit Jahrzehnten im Ausland lebenden Anhänger sind pflichtschuldigst empört, dass das Massaker an den Armeniern als Völkermord eingestuft wird. Sind denn die Austro-Türken schon in unserem Wertesystem angekommen? Keine Sorge, ganz viele sind es – und sie haben es zu Recht satt, scheel betrachtet zu werden.
Dynamische Türkei
Weil viele türkische Immigranten aus besonders armen Regionen kommen, übersieht man die wirtschaftliche Kraft der Türkei. Sie ist wichtiger Handelspartner Österreichs. An Wirtschaftswachstum hat die Türkei zwar eingebüßt, doch mit knapp drei Prozent ist sie noch immer weit dynamischer als wir (2014: 0,3 Prozent). Österreich exportiert Maschinen, Wasserkraftwerke, Tankstellen. Die Austro-Türken sind eine wertvolle Ressource, um beide Länder wirtschaftlich noch besser zu verbinden. Die von Erdogan angedrohten Sanktionen sind kindisch und werden – da weder im Interesse der Türkei noch Österreichs – kaum ernsthafte Folgen haben.
Ja, wovor fürchten sich die Österreicher dann eigentlich? Zum Beispiel vor einem Rückfall in die Fünfzigerjahre des vorigen Jahrhunderts. Wer jetzt hier lebt, genießt mühsam erkämpfte Rechte. Was die Frauen betrifft: keinerlei Bildungshürden, Verhütung, freie Wahl der Sexualpartner, Wahlfreiheit, ob man Kinder, Beruf oder beides haben will, eigener Pensionsanspruch, keine Geschlechtertrennung mehr – von der Schule bis zur Kirchenbank. Im Gegensatz zu muslimischen Ländern müssen Homosexuelle ihre Neigung nicht verbergen, es herrscht umfassendes Diskriminierungsverbot. Österreich hat auch seine Vergangenheit bewältigt und sich zur historischen Mitschuld am Holocaust bekannt. Zumindest theoretisch sind wir also ein weltoffenes Land.
Neue Prüderie
Doch nun schleicht sich im Namen des Islam allerlei Rückschrittliches ein: In öffentlichen Schwimmbädern werden eigene Frauennachmittage eingeführt. Arrangierte Ehen (oft im Verwandtenkreis) sind keine Seltenheit. Und Präsident Erdogan empfiehlt aus der Ferne den Frauen, mindestens drei Kinder zu gebären – aus nationalistischen Gründen.
Das ist Tugendterror. Wobei interessanterweise in westliche Industrieländer, so auch in Österreich, schleichend eine andere, ebenfalls seltsame neue Prüderie einzieht: Vor dem Geschlechtsverkehr werden Männer wohl bald eine notariell beglaubigte Unterschrift ihrer Partnerin einholen müssen, dass dies einvernehmlich geschieht. Und Achtung: Künftig kann vielleicht schon eine Umarmung einen Prozess nach sich ziehen.
Wir haben mittlerweile außerdem so große Angst davor, Frauen bei ihrem Fortkommen zu behindern, dass man die Hände über den Kopf zusammenschlägt, wenn jemand jung Mutter wird oder – wie furchtbar! – sogar eine Zeit lang für das Kind daheim bleibt. Das wiederum hat dazu geführt, dass die gut ausgebildeten jungen Frauen das Kinderkriegen lieber den schlechter Gestellten, oft mit Migrationshintergrund, überlassen. Das sind übrigens die, deren Männer bei Pro-Erdogan-Demos mitmarschieren. Womit sich der Kreis zu den Ängsten der Österreicher schließt.
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