Für die Gesamtschule zu sein, heißt progressiv sein

Das Tauziehen der Koalitionspartner verdeckt, dass die Vorarbeiten zur Abschaffung der AHS abgeschlossen sind.
Martina Salomon

Martina Salomon

Die Vorarbeiten zur Abschaffung der AHS sind abgeschlossen.

von Dr. Martina Salomon

über die Gesamtschule

Sie suchen eine Branche mit Zukunftspotenzial? Dann gründen Sie doch in Wien eine Privatschule mit, am besten mit Kindergarten – die Eltern werden Ihnen die Tür einrennen! Wer den Koalitionspartnern beim Schnüren eines Bildungspakets (und nicht nur dort) zuschaut, kriegt es mit der Angst zu tun. Arme Kinder, arme Lehrer, arme Eltern, ihr könntet demnächst Versuchskaninchen sein! Die SPÖ drängt seit Jahrzehnten auf eine Gesamtschule, weiß heimlich aber längst, dass das weder finanzierbar ist noch alle Bildungsprobleme lösen wird. Die Frage, ob Leistungsgruppen eingerichtet werden sollen, um das Niveau nicht ins Bodenlose sinken zu lassen, hat sie leider noch nicht entschieden.

ÖVP-Chef Michael Spindelegger ist zwar dezidiert gegen die Gesamtschule, doch wichtige Landeshauptleute sind neuerdings irgendwie dafür. Den Vogel abgeschossen hat der schwarze Koalitionsverhandler Wilfried Haslauer. Er schlug vor, einen Großteil der Gymnasien abzuschaffen und für die restlichen Elite-AHS eine Aufnahmeprüfung einzuführen. Da zog die SPÖ die Notbremse.

Als kleinster gemeinsamer Nenner wurde zuletzt eine „Gesamtschule light“ überlegt, also eine scheibchenweise Demontage der AHS. Wie eine um zwei Jahre verlängerte Grundschule allein baulich zu organisieren wäre, kann jedoch niemand sagen. Dem Vernehmen nach wurde auch bei diesem Vorschlag bereits die Reißleine gezogen.

Dienstrecht als Ideologie

Doch die Vorarbeiten zur Gesamtschule sind bereits weit gediehen: Die Unterrichts- und die Beamtenministerin haben mit der Reform der Lehrerausbildung sowie dem heftig umstrittenen neuen Dienstrecht die Grenzen zwischen den Schultypen aufgehoben. Jeder darf künftig überall unterrichten, zur Not auch ohne Fachausbildung, wie das jetzt schon in der „Neuen Mittelschule“ (erfolgreich?) praktiziert wird. Echte Reformen hingegen werden ignoriert. Immerhin scheitert die „Gesamtschule“ Volksschule an ihrer Kernaufgabe: Kindern lesen, schreiben und rechnen beizubringen.

Dennoch muss, wer nicht als reaktionärer Spießer gelten will, für die Gesamtschule sein. Diesem herbeigeschriebenen Meinungsdiktat beugte sich auch Neos-Chef Mathias Strolz. Denn das gilt als billiger Ausweis von Progressivität, so ähnlich, wie den Pink Ribbon oder eine Aids-Schleife ans Revers zu heften. (Die Schleife wurde gerade zum Weltaidstag am Sonntag riesengroß ans Parlament montiert. Wenn die Politik schon sonst kein Lob einheimst, ist ihr wenigstens dafür ein Beifall gewiss.)

Wer im vorfabrizierten Meinungsstrom mitschwimmt, erspart sich das Denken und darf sich auch noch moralisch überlegen fühlen. Die Gesamtschule fordern übrigens meist jene am lautesten, die ihre eigenen Kinder in Privatschulen schickten – bzw. die sich gerade verschämt nach Plätzen erkundigen. Als Argument gilt dann oft die tolle Ganztagsbetreuung.

Vorschlag: Bauen wir zuerst einmal Ganztagsschulen so aus, dass Kinder menschenwürdig den ganzen Tag dort bleiben können. Geben wir städtischen Problemschulen mehr Personal (auch Sozialarbeiter) und beschäftigen wir uns endlich mit Bildungsinhalten sowie seriös überprüfbaren Leistungen.

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