Die große Koalition kann nur ein Ausnahmefall sein

Für alternative Koalitionen hat die SPÖ bessere Karten.
Martina Salomon

Martina Salomon

Es ist ja nicht so, dass kompletter Stillstand im Land herrschen würde: Soeben wurde ein niedrigerer Unfallversicherungsbeitrag für Eisenbahner beschlossen. Bei Aufträgen der öffentlichen Hand wird künftig das Bestbieter- und nicht mehr das Billigstbieter-Prinzip herrschen. Die Lohnnebenkosten werden (um einen Hauch) gesenkt.

Aber bei wesentlichen Themen ziehen Rot und Schwarz wie eh und je in gegensätzliche Richtungen. Das ist nicht weiter verwunderlich, weil die beiden völlig unterschiedliche Konzepte haben. Daher meint man in vielen Ländern – so auch in Deutschland – vernünftigerweise: Eine große Koalition kann nur ein demokratischer Ausnahmefall sein.

In Österreich ist sie zur Regel geworden. Und täglich grüßt das Murmeltier. Aus der gegenseitigen Antipathie macht fast niemand mehr ein Hehl. Da wird beim Pressefoyer nach dem Ministerrat kabarettreif über den Zaun gestritten. Oder SPÖ-Stadträtin Wehsely richtet dem schwarzen Außenminister in Zusammenhang mit den Islam-Kindergärten spitz aus: "Es geht um Lösungen, es geht um Kinder, es geht nicht um Ihre persönliche Profilierung." Ja, eh.

Reinhold Mitterlehner meinte bei seiner Sechziger-Feier Donnerstagabend beschwichtigend: "Die Stimmung ist besser, als manche befürchten." Dennoch raunt dem Bürger eine innere Stimme immer öfter zu: "Es reicht." Aber wer die Koalition mit diesen Worten sprengt, wird vom Wähler bestraft (wie Willi Molterer). Ganz selten funktioniert es, wie bei Wolfgang Schüssel 2002. Die ÖVP kam damals auf sagenhafte 42,3 Prozent. Davor hatten sich aber die Blauen selbst zertrümmert.

Ein tief gespaltenes Land

Die amtierende Koalition ist in entscheidenden Bereichen uneinig: bei Zuwanderung, Pensionen, Schule, Vermögenssteuern. Die einstigen Großparteien sind zu losen Interessenverbänden geworden. Die Faymann-SPÖ vertritt brav Arbeiterkammer- und ÖGB-Positionen. Die ÖVP schwankt zwischen den Interessen von Bauern, Beamten und Wirtschaft. Dummerweise sind parallel dazu auch die Sozialpartner gespaltener denn je. Schwer vorstellbar, dass sich Christoph Leitl und Erich Foglar in einen Weinkeller (wie einst Rudolf Sallinger und Anton Benya) zurückziehen und dort etwas Vernünftiges aushandeln.Wie zwei Ertrinkende klammern sich SPÖ/ÖVP aneinander und erleichtern den Aufstieg der Blauen. Wobei der Zweite in einer großen Koalition meist besonders ausgelaugt wird. Das konnte man am Freitag wieder einmal schön studieren: Sigmar Gabriel erlitt bei seiner Wiederwahl zum SPD-Chef in Deutschland einen schweren Dämpfer. Vielen in seiner Partei ist er nicht links genug. So wie Mitterlehner vorgeworfen wird, bei der Steuerreform die Wirtschaft verraten zu haben. Auch für alternative Koalitionen hat die SPÖ bessere Karten, weil es zwei große Linksparteien im Parlament gibt: Die FPÖ träumt von mehr Negativsteuer, und die Grünen sind in ihrem antikapitalistischen Kampf ebenfalls weiter fortgeschritten als die SPÖ.

Wenn die Erosion der Großkoalitionäre so weitergeht, ist es beim nächsten Mal ohnehin die FPÖ, die sich ihren Koalitionspartner aussuchen kann. Zur Herstellung einer normalen Demokratie mit politischem Wechsel führt an Rot-Blau (oder Blau-Rot) wahrscheinlich kein Weg mehr vorbei.

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