Nicht nur ein Nachbeben
Es gibt zwei Lesarten des Ergebnisses der französischen Regionalwahlen. Die eine besagt, es würde sich primär um eine Art Nachbeben der Anschläge des 13. November handeln, das aber nicht zukunftsweisend sei.
Schon im Vorfeld der Wahl hatte eine Studie des Pariser Blatts Le Monde ergeben, dass "Wut" und "Hass" die Stimmabgabe entscheidend beeinflussen würden. Angetrieben durch diese nur allzu verständlichen Gefühle nach den koordinierten Massakern der Dschihadisten in Paris, stimmten noch mehr Wähler als sonst für den scheinbar radikalsten Gegner der Islamisten, also den "Front National".
Die Nationalistenpartei konnte es sich in dieser Wahlkampagne sogar leisten, um eine Spur leiser zu treten als üblich, so sehr wirkte die Situation zu ihren Gunsten. Dass die FN-Chefin Marine Le Pen schon vor dem Sommer ihren Vater, den gelegentlich antisemitisch blinkenden Parteigründer Jean-Marie Le Pen, aus dem FN hinausgeworfen hatte, verringerte noch die Hemmschwelle für ihre neuen Wähler. Diese Stimmabgabe für den FN unter dem Eindruck der Emotion sei aber eher eine symbolische Handlung als eine anhaltende politische Parteinahme gewesen, wollen einige Beobachter hoffen.
Die andere, wohl zutreffendere Lesart besagt, dass der FN zwar durch die Anschläge einen schnelleren Vormarsch registriert hat, dass sich aber die Nationalistenpartei, wie vormalige Wahlen gezeigt hatten, auch schon zuvor in steilem Aufstieg befunden hatte.
Der Kernantrieb für den FN kommt aus der nunmehr fast 30-jährigen Erfahrung, dass abwechselnd bürgerliche und linke Regierungen in dieser Zeitspanne fast nie die Arbeitslosenrate unter die Zehn-Prozent-Marke und bei Jugendlichen unter zwanzig Prozent zu drücken vermochten. Und dass das Industriesterben, in Frankreich noch rasanter als in vergleichbaren EU-Staaten, in mehreren Regionen kaum bis gar nicht durch neue Wirtschaftszweige kompensiert werden konnte.
Diese chronische Misere tangiert auch Teile des breit gestreuten Mittelschichtmilieus. Das hat zu Zermürbung geführt, große Teile vor allem junger Menschen haben sich aus dem traditionellen Politgefüge völlig ausgeklinkt. Die sozialistische Staatsführung um Präsident Francois Hollande hat durch einen dilettantisch anmutenden Schlingerkurs in der Steuerpolitik die Verunsicherung noch auf die Spitze getrieben. Sie verstärkte zwar zuletzt Unternehmens-fördernde Maßnahmen, positive Effekte lassen aber auf sich warten, während in der Zwischenzeit linke Stammwähler über diese Kurswende ihr politisches Latein verlieren.
Der FN hat in dieser Situation nur Vorteile: er wurde "bisher noch nie ausprobiert", wie seine Wähler sagen, und er bietet gleich drei angeblich Schuldige: "das System", die EU und die Migranten. Wenn jetzt auch noch die Dschihadisten zu weiterem Massenterror ausholen, und das ist ihre Absicht, wird es den übrigen Parteien immer schwerer fallen, dem "Front National" standzuhalten.
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