Mittelschicht braucht mehr als Mittelmaß

"Rettet den Kapitalismus", nennt Robert Reich sein neues Buch. Aber nur, wenn er der Mittelschicht dient.
Helmut Brandstätter

Helmut Brandstätter

'Rettet den Kapitalismus'. Aber nur, wenn er der Mittelschicht dient.

von Dr. Helmut Brandstätter

über eine nachhaltige Wirtschaft

Wirtschaftlicher Erfolg, Aufbau von Vermögen, höhere Bildung, sozialer Aufstieg, das alles hat das Gefühl der Mittelschicht in den Industrieländern ausgemacht. Heute ist es die Angst vor wirtschaftlichem und sozialen Abstieg, die in weiten Teilen der Mittelklasse zu spüren ist, in den USA genau so wie bei uns. Arbeitsplätze verschwinden, weil sie ins Ausland abwandern oder durch Computer und auch schon Roboter ersetzt werden, Wohnungseigentum wird in Städten auch für Gutverdiener illusorisch, durchschnittliche Bildung ist kein Garant mehr für Beschäftigung.

"Ich kann den Deutschen nur raten, sich in Acht zu nehmen. Die gegenwärtige Entwicklung ist nicht nachhaltig, weder ökonomisch noch politisch. Keine Wirtschaft der Welt kann ohne die Kaufkraft einer starken, wachsenden Mittelschicht die nötige Fahrt beibehalten." Robert Reich, Uni-Professor und ehemaliger Arbeitsminister von Bill Clinton, spricht in der eben erschienen deutschen Ausgabe seines neuen Buches direkt europäische Gesellschaften an, denen er das Schicksal der USA prognostiziert, wenn sie dieselben Fehler machen. Der Erfolg des Kapitalismus beruhe auf der steigenden Kaufkraft einer breiten Mittelschicht. In den USA hätten Konzerne, von den Finanzakrobaten der Wall Street bis zu den Technologieriesen des Silicon Valley seit Jahren nur mehr die sehr Reichen noch reicher gemacht, während die niedrigen und mittleren Einkünfte kaum noch wachsen.

Wohlstand braucht Innovationen

Professor Reich glaubt an den Kapitalismus, aber "für alle, nicht nur für 1 Prozent", wie es im Untertitel heißt. Das sei aber nur erreichbar, wenn die Verteilung von Vermögen gleicher werde – in den USA verfügt das oberste Prozent über 40 Prozent des Vermögens – , und die Politik die Macht der Großkonzerne reduziere, dafür der Mittelschicht wieder eine Perspektive gibt. Die mangelnden Chancen für Aufstieg und Wohlstand treiben in den USA ebenso wie in Europa die Wähler in die Arme von Großmaul-Populisten, die zwar keine Lösung haben, aber die Ängste mühelos in Stimmen umwandeln.

Hier gibt eine neue Bertelsmann-Studie der Politik zumindest eine Anregung. Der Kapitalismus in seiner besten Form lebt von Innovation. Wenn ein Land wie Österreich in allen Fragen der Modernisierung bestenfalls Mittelmaß ist, leidet die Mittelschicht am meisten. Es reicht bald nicht mehr, eine gute Ausbildung zu haben, wir müssen zu den Besten gehören. Aber die Unis fallen in allen Rankings zurück, Schulreformen brauchen Jahrzehnte. "Das Blockadepotenzial der Lehrergewerkschaft" wird dabei in der Studie hervorgehoben. Die Schweiz wird wegen der "hohen Dynamik" am Arbeitsmarkt gelobt, der weniger reguliert ist – bei deutlich niedrigen Arbeitslosenzahlen. Wenn die Regierung die Mittelschicht ansprechen will, wird sie schneller Reformen wagen müssen. Sie wird dabei nicht immer alle glücklich machen, aber die Mittelschicht retten.

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