Multikulti ist kein Aufregerthema mehr

DIe Parteien müssen notgedrungen um „Ausländer“ buhlen. Es ist so etwas wie Normalität eingezogen.
Martina Salomon

Martina Salomon

Parteien müssen notgedrungen um "Ausländer" buhlen. Es ist so etwas wie Normalität eingezogen.

von Dr. Martina Salomon

über den Multikulti-Alltag

Man stelle sich vor: Wir leben in einer multikulturellen Gesellschaft – und keiner regt sich mehr auf. Dabei gab es in diesem Sommer Ereignisse mit ordentlich Empörungs-Potenzial: Am Dienstag wurde bekannt, dass einige Votivkirchenbesetzer Teil einer Schlepperbande sein sollen. Übrigens ein ziemlicher „GAU“ für die Caritas (und Kardinal Schönborn), die ihre – rechtmäßige – Abschiebung scharf kritisiert hatten.

Aufreger Nummer zwei: Bereits Ende Juni waren mehr als 8000 türkische Erdogan-Fans durch die Wiener Innenstadt gezogen. Nur 600 türkische Gegendemonstranten hatten es gewagt, gegen die Politik des brutalen Niederknüppelns friedlicher Demonstranten am Istanbuler Taksim-Platz einzutreten. Wenn das eine Feststellung der politischen Haltung von den Tausenden hier lebenden Türken war, dann ist sie wohl eher niederschmetternd ausgefallen. Die Rolle der türkischen Religionsbehörde wäre da auch einmal zu hinterfragen.

Die Reaktion auf beide Ereignisse blieb, obwohl Wahlkampf herrscht, erstaunlich gelassen. Das lässt vor allem einen Schluss zu: Wenn jeder Zweite mit Hauptwohnsitz Wien und bis zu 70 Prozent der hier lebenden Kinder „Migrationshintergrund“ haben (also mindestens ein Elternteil im Ausland geboren wurde), dann ist diese Gruppe auch ein interessantes Wählerpotenzial. Die SPÖ kümmert sich darum seit Jahren so intensiv wie versteckt, um nicht noch mehr Stammwähler zu verschrecken. Die FPÖ wendet sich aktiv an die Serben, und selbst die ÖVP hat nun einen „Vorzeige-Muslim“ fürs Parlament. Das schreckt nur mehr Innenstadt-Bezirkschefin Ursula Stenzel, die offenbar noch tief im vorigen Jahrtausend lebt. Die Grünen, seit jeher für ziemlich unbegrenzte Migration, tun sich beim Thema am leichtesten.

Probleme – und Potenzial

Sicherlich sind in der Zuwanderungspolitik der vergangenen Jahre grobe Fehler passiert. Österreich hat sich nie aktiv um die Besten bemüht, sondern den Zuzug von Ausländern (auch über die Asylpolitik) eher widerwillig geschehen lassen. Noch jetzt schaut die Politik rat- und tatenlos zu, wie sich Gettos von armen Zuwanderern, gemixt mit deklassierten „Eingeborenen“ abseits der Wiener „Bobo“-Bezirke ausbreiten. Doch langsam erkennt man auch das Potenzial der „Ausländer“ – wobei die größte Gruppe aktuell Zugewanderter Deutsche sind. Nur Witzbolde sehen hier Integrationsprobleme. Deutsche Studenten, kroatische Mathematiker, serbische Kindergärtnerinnen, türkische Händler, noch wenig „migrantische“ Politiker und Journalisten: Der Umgang miteinander wurde selbstverständlich. Wobei dies kein Freibrief sein kann, noch viel mehr Menschen hereinzuholen, die vor elenden Verhältnissen fliehen und sich das Bleiberecht manchmal mithilfe Gutgläubiger erpressen wollen. So dramatisch jeder einzelne Fall ist: Österreich ist mittlerweile (und wieder) ein multikulturelles Land, aber auch ein Rechtsstaat. Und die Balance, die derzeit Gott sei Dank herrscht, ist keineswegs stabil.

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