Erdogan schlägt die Tür zur EU laut zu
Erdogan schlägt die Tür zur EU laut zu.
Der türkische Premier kam, sprach und bot im Wiener Eishockey-Stadion eine nationalistische Wahlkampf-Show, wie er sie zu Hause im Dutzend gibt. Erdogan war da, na und? – eine Demokratie muss auch seltsame Auftritte wie diese aushalten: So abgeklärt resümieren nur die wenigsten.
Mehr als zwei Drittel der Österreicher sind gegen den Auftritt des türkischen Ministerpräsidenten, ergibt eine OGM-Umfrage für den KURIER. Die breite Ablehnungsfront geht von Blau bis Grün quer durch die Anhängerschaft aller Parteien. Bei den einen führt wohl mehr die diffuse Angst vor einer "Türkenbelagerung 2014" Regie – auch wenn das 50 Jahre nach Ankunft der ersten türkischen Gastarbeiter in Österreich absurder denn je ist. Bei den anderen spielt eine tiefe Abneigung gegen die Politik Recep Erdogans eine zentrale Rolle: Die Horror-Vorstellung einer schleichenden Umwandlung der laizistischen Atatürk-Türkei in einen Gottesstaat nach iranischem Vorbild – vom Alkohol-Werbeverbot bis zur totalen Verbannung von Alkohol, von zeitweiligen Facebook- und Twitter-Blockaden bis zur totalen Zensur von Internet und Medien.
Für den blauen Parteichef jedenfalls eine billige neue Gelegenheit, zu hetzen: "Wien darf nicht Istanbul werden." Und ein Boulevard-Blatt stellte in Wort und Bild die katholische Fronleichnamsprozession am Donnerstag in der Wiener Innenstadt gegen das rote Fahnenmeer im Zeichen des Halbmonds in Wien-Donaustadt.
Nützlicher Idiot für die Hetzer
Recep Erdogan hat mit seinem "Privat-Besuch" in Österreich niemandem etwas Gutes getan. Österreicher mit türkischer Abstammung hatten es immer schwerer als etwa Zuwanderer vom Balkan. Der Bruch mit dem ungeschriebenen Gesetz, dass Wahlkämpfe zu Hause auszutragen und nicht zu exportieren sind, schürt ohne Not Vorurteile, statt sie zu dämpfen.
Die paar Zehntausend Stimmen, die Erdogan für seine Präsidentenwahl gesichert haben mag, wiegen für die Hinterbliebenen mit türkischen Wurzeln am Ende null. Denn die Gelegenheit für Strache & Co., einmal mehr gegen "die Türken" in Österreich Stimmung zu machen, könnte im Alltag noch länger nachwirken, wenn Erdogan als Straches Wahlhelfer nachhaltig Spuren hinterlässt.
Der politische Ego-Trip des türkischen Premiers selbst wird weiter einmalig bleiben. Kein anderer europäischer Staatsmann hat und hätte die Chuzpe, seinen Wahlkampf außerhalb der Landesgrenzen zu führen.
Wenn es eines zusätzlichen Beweises bedurft hätte, Recep Erdogan hat ihn erbracht: Solange autokratische Politiker das Sagen haben, wird die Türkei die Tür zur EU auch nicht nur einen Spalt weiter öffnen können – zum Schaden für ihre Landsleute, die zu Recht auf ihre Geschichte, ihre Kultur und den rasanten wirtschaftlichen Aufstieg ihres Landes stolz sind.
Die Türkei kann langfristig sicher europareif werden – aber nur ohne die Erdogans von heute oder morgen.
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