Deutschland, eine lernende Nation
Durch die Fußball-Erfolge schaut die Welt genau auf Deutschland: Werden die Deutschen wieder zu stark?
Nur Dumpfbacken oder Krypto-Nazis denken bei den Erfolgen der Deutschen in Wirtschaft und Fußball noch an die angeblichen Tugenden einer Nation, die andere Völker überfiel. Die Deutschen haben nach 1945 vielmehr eine Entwicklung durchgemacht, die historisch beachtlich, wenn nicht einmalig ist. Geschlagen in zwei Weltkriegen und im Bewusstsein der Verantwortung für den Holocaust ist zunächst im Westen, in der Bundesrepublik, eine Gesellschaft entstanden, die sich zum demokratischen Vorbild entwickelte.
Alle, die meinten, mit der Wiedervereinigung würden die Deutschen wieder eine Größe erreichen, die sie unerträglich macht, wurden eines Besseren belehrt. Die Westbindung durch Konrad Adenauer, die Ostpolitik Willy Brandts und die europäische Überzeugung Helmut Kohls – drei grundsätzliche politische Wegweiser, auf die Angela Merkel aufbauen kann, auch wenn ihr im Moment ein starker Partner in Paris fehlt. Aber die Deutschen brauchen Partner in Europa, Alleingänge würde ihnen niemand verzeihen. Umso wichtiger, dass die deutsche Kanzlerin in der Tradition ihrer Vorgänger niemals zu Übermut neigen würde.
Noch im Jahr 1858, als die englische Prinzessin Victoria den Hohenzollern-Prinzen und späteren 99-Tage-Kaiser Friedrich III. ehelichte, schrieb die Times von den Preußen als einer "armseligen Nation". Später, nach der Reichsgründung durch Bismarck und dem darauffolgenden wirtschaftlichen Aufstieg, wurden die Deutschen von den Briten immer mehr bewundert – mit gehässigem oder zumindest schauderndem Unterton, bis heute.
Deutschland als Hoffnung Europas
Der Journalist und Historiker Max Hastings schrieb in der Londoner Daily Mail: "Wären die Deutschen 1914 nicht in den Krieg gezogen, hätte sie niemand daran hindern können, schon eine Generation später Europa mit friedlichen Mitteln zu dominieren." Heute ist Hastings von der Präsenz der deutschen Wirtschaft in England beeindruckt, von den Autos bis zur Pharmazie. Ja, sogar Supermärkte wie Aldi oder Lidl würden der britischen Konkurrenz zeigen, wie man es richtig macht.
Denn die Deutschen haben nicht nur politisch gelernt, sondern auch wirtschaftlich, und sind, ob sie wollen oder nicht, die Hoffnung Europas. Volkmar Denner, der Chef von Bosch, dem weltweit größten Autozulieferkonzern, sagt im Handelsblatt vom Freitag den Entwicklern im Silicon Valley den Kampf an. Die vernetzte Welt muss nicht Google & Co. gehören, deutsche Industrieunternehmen könnten mit ihrem Maschinenbau und fleißiger Forschungsarbeit durchaus mithalten.
Weltoffenheit und die Bereitschaft zum Lernen, das sind die deutschen Tugenden von heute, in der Politik, in der Wirtschaft und im Fußball. Eine bunte Gesellschaft bietet stets mehr Herausforderungen als verordnete Uniformität. Doch wenn sie gut organisiert ist, wie die Truppe von Jogi Löw, ist sie – wahrscheinlich – unschlagbar.
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