Kanzler probiert den Cliffhanger in Rot-Blau

Kerns Koalitionshürden – eine Mischung aus Drohkulisse Richtung ÖVP und Techtelmechtel mit der FPÖ.
Josef Votzi

Josef Votzi

Kerns Koalitionshürden sind eine Mischung aus Drohkulisse Richtung ÖVP und Techtelmechtel mit der FPÖ.

von Josef Votzi

über die Öffnung der SPÖ für Rot-Blau

Als Kanzler steht er für geschliffene Rhetorik und einen Hang zur Inszenierung. Sein Vorleben beschreiben Wegbegleiter mit einem überraschenden Bild. Christian Kern sei ein "Cliffhanger", also einer, der vor Entscheidungen gern für dramatische Spannung sorgt und den Ausgang bis zum Schluss offen lässt. Sicher ist nur: Fortsetzung folgt. Mit dem Aus für die "Vranitzky-Doktrin" hat Kern mit dem ehernen Slogan Dutzender SPÖ-Wahlkämpfe gebrochen: FPÖ, nein, danke! Mit der Öffnung zu Rot-Blau schlägt der Parteichef ein SPÖ-Kapitel neu auf, dessen Ausgang total offen ist.

Spätestens als Hans Niessl 2015 im Burgenland die Quarantäne für die FPÖ beendete, kippte die Stimmung endgültig. Auch Spitzengenossen in OÖ und Steiermark flirten bereits ungeniert mit Blau. Michael Häupl ist mit seinem Mantra "Nein zu Rot-Blau" bald allein.

Kern versucht nun den Spagat mit einem Doppelschlag. Mit dem Wertekompass können in der SPÖ alle leben. Die Rot-Blau-Gegner sucht er mit Mindesthürden für Koalitionen zu ködern – überwiegend ein Konzentrat aus Plan A. Neu ist der Plan einer Volksabstimmung etwa darüber, ob künftig allein der Bund für Lehrer zuständig sein soll. Winkt Kern bereits vorsorglich mit dem Zaunpfahl Richtung ÖVP-Länderfürsten, dass es gute Argumente gäbe, es doch noch einmal gemeinsam zu versuchen? Oder ist das bereits die Antwort darauf, dass Strache jüngst Plebiszite zur Koalitionsbedingung erklärt hat?

Ohne Platz 1 bleiben Koalitionen ein Spiel

Aus Sicht der Wählermehrheit, die noch auf keine Partei festgelegt ist, könnte die neue Startaufstellung für den Wahlkampf sogar ein Gewinn sein. Sie lässt weniger Platz für simple Parolen und mehr Freiraum für autonomes Denken. Auch SPÖ-Wähler wird die Öffnung Richtung Blau weniger irritieren als manche Funktionäre. In Wiener Gemeindebauten hatten schon bisher zunehmend mehr Rot-Wähler keine Skrupel , ein Stück des Weges mit Blau zu gehen. Das Ende des strikten Nein zu Rot-Blau allein wird wohl aber nicht ausreichen, dass sie in Scharen wieder reuig ihr Kreuz bei der SPÖ machen.

Offen bleibt auch, ob die Partei den Tabubruch auf Dauer ohne Spaltung überleben wird. Denn frei nach Kerns heimlichem Rolemodel, dem Cliffhanger: Abgestimmt wird im Koalitions-(Not)fall des Falles über Rot-Blau erst nach der Wahl. Das wird vor allem die zerstrittene Wiener SPÖ endgültig vor eine Zerreißprobe stellen. Der Bürgermeister-Kandidat der roten Blaublinker, Michael Ludwig, suchte sich so gestern im KURIER bauernschlau als Verhinderer einer Parteispaltung zu positionieren – und den Ball an Christian Kern zurückzuspielen: Er könne auch ohne Abstimmung und mit einer Koalitions-Entscheidung allein durch den SPÖ-Chef gut leben.

Kern hat bis zum 15. Oktober ganz andere Sorgen: Sicher ins Koalitionsspiel kommt er nur, wenn er – wogegen derzeit alle Umfragen sprechen – noch einmal für die SPÖ Platz 1 schafft. Dann und nur dann hätte er auch die Wahl: Rot-Schwarz (wohl mit Kurz’ Nachfolger) oder doch den ultimativen Cliffhanger – Rot-Blau.

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