In Nahost zerfällt das Erbe des Weltkriegs

Der Krieg im Irak und Syrien ist der Anfang vom Ende einer Ordnung, die der Imperialismus hinterlassen hat.
Konrad Kramar

Konrad Kramar

Die Landkarte des Nahen Ostens wird umgezeichnet werden, das steht fest.

von Mag. Konrad Kramar

über Nahost

In fünf Tagen, am 28. Juni, sind es genau 100 Jahre, seit in Sarajewo mit der Ermordung des Thronfolgers Franz Ferdinand die Initialzündung für den Ersten Weltkrieg erfolgte. Es wirkt wie ein eisiger Gruß der Geschichte, wenn genau jetzt ein Teil der Ordnung, die dieser Krieg schuf, vor unseren Augen in Trümmer fällt. Mit dem Krieg, den die islamistische ISIS von Syrien nun in den Irak getragen hat, gehen zwei Staaten, die die Kolonialmächte aus dem zerschlagenen Osmanischen Reich willkürlich konstruierten, ihrem Ende entgegen. Und es ist wohl genau diese Erkenntnis, die US-Präsident Obama vor einem neuerlichen massiven Eingreifen im Irak zurückschrecken lässt: Keine Militärmacht der Welt kann diese Kunstprodukte, zu denen auch Jordanien und der Libanon gehören, auf Dauer zusammenhalten.

Vielleicht ist es Zeit, sich dem offen zu stellen, um sich einer grundsätzlicheren Frage zu widmen. Wie lässt sich verhindern, dass dieser ganze Raum endgültig zu einem staaten- und damit rechtlosen Schlachtfeld für einen Glaubenskrieg wird: Zwischen den zwei großen Strömungen des Islam, den Sunniten und den Schiiten. Dieser seit Jahrzehnten schwelende Konflikt steht vor der Eskalation – mit dem Iran als Zentralmacht der Schiiten und Saudi-Arabien als dessen sunnitischen Gegenspieler. Die Landkarte des Nahen Ostens wird umgezeichnet werden, das steht fest. Die Frage ist nur, ob sie hundert Jahre, nachdem europäische Kolonialherren ihre Striche durch diese Region gezogen haben, mit Blut gezeichnet wird, oder ob die Diplomatie noch eine Chance bekommt. Dafür aber wäre es nötig, die Tatsachen, die dieser historische Umbruch gerade schafft, zu akzeptieren und mit ihnen umgehen zu lernen.

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