Das Vergangene ist nie vergangen
Es wäre an der Zeit, Europa eine neue Begründung zu geben
Mit nur einem Satz haben die EU-Staats- und Regierungschefs, Ratspräsident Donald Tusk sowie Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, an den 9. Mai 1950 und die Erklärung von Schuman erinnert. "Wir feiern heute das vereinte Europa, das aus der Asche des Zweiten Weltkrieges auferstanden ist." Kein Wort über die Ursachen des Krieges, über Nazismus, die mörderische Unmenschlichkeit und die systematische Vernichtung europäischer Juden. Selbst über diesen banalen Satz, für den sich jeder Europäer schämen müsste, gab es ein tagelanges Gezerre. Bundeskanzler Faymann etwa wollte eine starke Formulierung, andere keine klare Verurteilung der Nazi-Gräuel. Es ist mehr als beunruhigend, wenn sich die EU-Granden nicht einmal mehr über das Vergangene einig sind. Dabei steht Europa vor existenziellen Problemen. Gegen den Plan von David Cameron, nicht die Insel zu europäisieren, sondern die EU zu britannisieren, gibt es kein schlüssiges Gegenkonzept.
Die Lage in Athen ist dramatisch, manchen wäre ein Grexit durchaus lieb. In Mazedonien, das Beitrittskandidat ist, gibt es Tote durch nationalistisch motivierte Kämpfe. Vor allem aber fehlt es an Kitt zwischen den Europäern selbst, die Wirtschaftskrise und die hohe Arbeitslosigkeit schüren wieder Vorurteile, Rassismus und Antisemitismus nehmen gefährlich zu. Wann, wenn nicht jetzt, wo das Ende der Nazi-Diktatur als Befreiung gefeiert wird, wäre es an der Zeit, Europa eine neue Begründung zu geben. Der kleinste gemeinsame Nenner genügt nicht mehr, das Projekt Integration weiter zu tragen. Doch mehr Gemeinsamkeit anstelle nationaler Egoismen, braucht Mut und Weitsicht wie sie Robert Schuman hatte. Von ihm können die Brüsseler Spitzen, Ratspräsident Tusk und andere, nur lernen.
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