Auch eine Schnecke kommt ins Ziel
Die alte Groko unter Angela Merkel war viel besser als ihr Ruf – der Startnachteil der neuen heißt SPD.
"Der Fortschritt ist eine Schnecke", hat es gegen Ende der Koalitionsverhandlungen in Deutschland geheißen, aber jetzt ist die Schnecke Groko fürs erste einmal im Ziel. Lange viereinhalb Monate hat es gedauert. Damals wurden CDU/CSU und SPD vom Wähler kräftig geohrfeigt und wollten für die Zukunft etwas ganz anderes. Nun haben Union und Sozialdemokraten wieder zusammengefunden. Kann das gut gehen? Sieht so Aufbruch aus?
Zunächst einmal müssen die Mitglieder der SPD dem Pakt zustimmen: Martin Schulz, vor Jahresfrist noch als Messias für die Sozialdemokraten gefeiert, hat die Partei großer Kanzler wie Brandt, Schmidt oder Schröder auf eine 18-Prozent-Partei (Umfragen) heruntergewirtschaftet. Jetzt schmeißt er als Parteichef hin, muss aber vorher noch erklären, warum ein Bund mit Merkel, den er nach der Wahl kategorisch ausgeschlossen hat, gut ist.
Auch für Angela Merkel ist die Neuauflage der alten Regierungsform nicht Erfüllung, im Gegenteil. Aber was sind ihre Alternativen? Die Zeiten, da in Deutschland eine der Volksparteien mit einem kleinen Partner wie FDP oder Grünen regieren konnte, sind mathematisch vorbei. Die Jamaika-Koalition, die zunächst verhandelt wurde, war mehr mediales Hirngespinst, als realistische Option – Grüne, FDP, CSU und CDU, das geht nicht einmal bei allergrößten politischen Verrenkungen zusammen. Das Scheitern war nicht Merkels Schuld.
Wie überhaupt gilt: Die Leitartikler und Feuilletonisten des Landes schreiben Merkel & Co. ins politische Ausgedinge und malen die Groko als Gottseibeiuns an die politische Wand – aber warum eigentlich?
Wohlstand und Jammerfaktor
Von zwölf Jahren Merkel-Kanzlerschaft haben Union und SPD acht Jahre regiert. Und so schlechte Politik offenkundig nicht gemacht. Ja, die großen Würfe blieben aus. Gezaudert und gezögert hat die Kanzlerin oft, ehe sie Entscheidungen traf. Aber: Deutschland hat Finanz- und Eurokrise gut überstanden und steht heute wirtschaftlich blendend da wie nie zuvor. Auch die Wähler spüren das, Kaufkraft und Beschäftigungsstand sind auf höchstem Niveau. Stimmt: Das hat die Koalition im Herbst nicht abholen können. Aber das liegt zum einen an Fehlern in der deutschen und europäischen Flüchtlingspolitik. Und das liegt an einem Phänomen, das nicht nur in Deutschland zu beobachten ist: der Jammerfaktor steigt direkt proportional mit Wohlstand und wachsender Verlustangst.
Jetzt haben die Unionsparteien und die SPD einen 177-seitigen Koalitionspakt geschmiedet. Auch der beinhaltet keine großen Visionen. Aber er hält von der jungen Familie bis zum Rentner für alle etwas bereit – um zig Milliarden Euro, die in den vergangenen Jahren mit Überschüssen erwirtschaftet worden sind.
Die Groko hat also durchaus geliefert. Ob und wie sie das weiter tut, wird viel vom Zustand und der Pakttreue der SPD unter neuer Führung abhängen – sie ist die große Unbekannte. Die Beharrlichkeit der Schnecke Merkel kennt man ja.
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