Das Elend der Sozialdemokratie

Margaretha Kopeinig

Margaretha Kopeinig

Weder bestimmen sie die politische Agenda, noch kämpfen sie effizient gegen Rechtsruck, Nationalismus und Arbeitslosigkeit an.

von Dr. Margaretha Kopeinig

über das Elend der Sozialdemokratie

Mit einem dramatischen Appell richtet sich Martin Schulz, der scheidende Präsident des EU-Parlaments, an seine Partei. „Die Sozialdemokratie ist gefährdet und herausgefordert wie nie“, sagte der SPD-Politiker in einem Interview in der Süddeutschen Zeitung (Ausgabe 5./6. Januar). Gerechtigkeit und Demokratie würden derzeit grundsätzlich infrage gestellt, fügte er mit Blick auf den Zuspruch für populistische Parteien in Europa hinzu.

Die fundierte Analyse des elenden Zustandes der Sozialdemokratie ist wohl eine Art Vermächtnis des international bekannten Politikers und einflussreichen Strategen. Er hat es in den vergangenen fünf Jahren an der Spitze der europäischen Volksvertretung verstanden, dem Parlament ein neues Image zu verpassen und zum Player unter den EU-Institutionen zu machen. Schulz hat dabei geschickt seine Talente eingesetzt: Intellektualität gepaart mit Volksnähe und sozialer Kompetenz, profundes Wissen, perfektes Agieren in der Medienwelt und vor allem die Lust an der Macht. Diese Eigenschaft verkörpert Schulz wie kein anderer Sozialdemokrat in der EU und er nützt sie perfekt, um Missstände aufzuzeigen, Akzente zu setzen und politische Entscheidungen zu treffen.

Das, was er kann, fehlt vielen seiner Genossen. Weder bestimmen sie die politische Agenda, noch kämpfen sie effizient gegen Rechtsruck, Nationalismus und Arbeitslosigkeit an. Nonchalant und ohne historischem Bewusstsein verspielen das würdige Erbe einer Partei, die für soziale Gerechtigkeit, Bildungschancen, Offenheit und Internationalität steht. Dazu kommt, dass ihnen häufig die Freude an Politik und ebenso der Sinn für Taktik und Strategie fehlt.

Das zeigt sich derzeit ganz deutlich am stümperhaften Vorgehen der sozialdemokratischen Fraktion rund um die Wahl des Nachfolgers von Martin Schulz an der Spitze des Europäischen Parlaments. Am 17. Jänner wird der neue Präsident im Straßburger Parlament gewählt.

Was die Sozialdemokraten mit ihrem Spitzenkandidaten, dem wenig bekannten und charismatischen Gianni Pittella wollen, ist nicht klar. Die Fraktion ist zerstritten und nicht imstande, eine Mehrheit für Pittella zustande zu bringen. Die Abgeordneten sind aber auch nicht imstande, jemanden zu unterstützen, der tatsächlich gewinnen kann, wie zum Beispiel der Chef der Liberalen, Guy Verhofstadt. Das ist nur ein Beispiel politischer Ungeschicklichkeit und Unfähigkeit, Mehrheiten zustande zu bringen, um politische Entscheidungen beeinflussen und bestimmen zu können.

Erstaunlich ist auch, wie unbeteiligt die wenigen verbliebenen sozialdemokratischen Regierungschefs dem Chaos in der sozialdemokratischen Fraktion zusehen. Das Wegschauen fügt sich in einen Prozess, der als Zerstörung der eigenen Bewegung beschrieben werden kann – und vor der Martin Schulz so eindringlich warnt. Mit seinem Abgang verliert die europäische Sozialdemokratie nicht nur ihren mächtigsten Repräsentanten auf EU-Ebene, sondern ihren engagiertesten Verfechter für ein starkes Europa, für mehr soziale Gerechtigkeit und einen Kämpfer gegen Nationalismus.

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