über LEBEN: Was es heißt, Journalist zu sein

über LEBEN: Was es heißt, Journalist zu sein
Guido Tartarotti über sein Leben als Journalist
Guido Tartarotti

Guido Tartarotti

Jetzt bin ich erst ein paar Tage auf Facebook und habe schon einen Leser vertrieben. Herr T. will den KURIER nicht mehr lesen, weil ich nicht mit ihm "befreundet" sein möchte. Ich möchte es übrigens deshalb nicht, weil er auf Facebook die Ansicht vertritt, Journalisten seien "alles abhängige Schmierantenschreiber". Journalist zu sein, das heißt auch, seine Leserbriefschreiber zu betreuen. Da gibt es zum Beispiel Herrn G. Zwischen uns hat sich ein fixes Ritual entwickelt: Ich schreibe was, und Herr G. schreibt mir daraufhin, ich sei ein blöder linkslinker Tugendterrorist. Nach grob geschätzt 100 Briefen passierte jetzt etwas Unerhörtes: Herr G. schrieb: "Ich erlaube mir volle Zustimmung." Ich schrieb sofort zurück: Herr G., was ist passiert? Ich muss irgendetwas furchtbar falsch gemacht haben! Ich habe Herrn G. übrigens vorgeschlagen, mir doch einfach immer im Jänner pauschal für das ganze Jahr einen Brief mit 100-mal "Tugendterrorist" zu schicken, quasi zum Abarbeiten, damit er sich Porto spart. Die größte Wutwucht beim Leserbriefschreiben entwickeln Lehrer. Nach einem Kommentar zum Thema Schule hatte ich zwei Tage nichts anderes zu tun, als - zum Teil bemerkenswert rüde - Mails zu beantworten. Lustig ist, dass dabei immer dieselben zwei Argumente kamen. 1) Sie haben keine Ahnung von Lehrern (oja, meine Eltern und meine Schwester sind welche). 2) Wenn Sie finden, dass Lehrer so viel Urlaub haben, hätten Sie selber Lehrer werden sollen (nun ja, zumindest ich wähle meinen Beruf nicht nach den zu erwartenden Privilegien). Manchmal ist es einfach nur ein Genuss, mit Lesern in Kontakt zu sein. Vorige Woche rief mich ein 93-jähriger Herr an und teilte eine Stunde lang seine beeindruckende Lebensweisheit mit mir. Einen besseren Lehrer hatte ich nie. Dafür hat es sich gelohnt, Journalist zu werden.

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