über LEBEN: Tony Wegas, würdevoll

über LEBEN: Tony Wegas, würdevoll
Guido Tartarotti über Tony Wegas und seinen virtuosen Auftritt.
Guido Tartarotti

Guido Tartarotti

Oft täuscht man sich. Eines Tages entdecke ich beim Joggen ein Plakat: " Tony Wegas live im Café Jacqueline" (sprich: Jatz-kwe-line). Tony Wegas trat zwei Mal beim Song Contest an und konsumierte anschließend eine heftige Überdosis Leben. Das Café Jacqueline wiederum ist ein abwaschbares Plastik-Restaurant mit klassischem "Bitte einen Fernet zum Kaffee"-Stammpublikum neben dem Billa-Parkplatz einer Wohnhaus-Wucherung am Zehennagel Wiens. Dort wohne ich, in der Wucherung. Mit Blick auf das Café Jatzkweline und so manches menschliche Ereignis zu späterer Stunde. Was halt so passiert, wenn der Fernet zuerst den Kaffee und dann die Vernunft erwürgt. Ich beschließe spontan, das Konzert zu besuchen, um Stoff für diese Kolumne zu sammeln. Zu verführerisch ist die Aussicht auf Realsatire der Sorte "Ritter von der todtraurigen Gestalt singt Substandardschlager für Besoffene". Ich trinke mir Mut an und schleiche mich hinüber. Drinnen sitzt Tony Wegas auf einem Barhocker, 20 Kilo hat er abgenommen, 15 noch vor sich, das Publikum besteht aus einem alten Herren, der traurig ein Gulasch verschluckt, zwei miteinander tanzenden, aus der Zeit gefallenen Frauen, und mehreren Gläsern Fernet. Den Fernetgläsern scheint es gut zu gefallen. Und jetzt passiert das, womit nie zu rechnen war. Mitten in diesem Inferno aus Resignation, längst durchgesessenen Träumen und verschütteten Hoffnungen singt und spielt Tony Wegas wie ein Besessener. Er ist als Gitarrist (Flamenco, Gipsy-Swing) ebenso virtuos wie als Sänger ausdrucksstark, originell und berührend. Er hat auch in dieser Situation: Würde! Wer es nicht glaubt, soll sich Tony Wegas live anschauen. Am besten dann, wenn er mit seiner Roma-Familie Latin und Zigeuner-Jazz spielt. Denn oft täuscht man sich.

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