über LEBEN: Im Straßenverkehr

über LEBEN: Im Straßenverkehr
Guido Tartarotti über Autofahrer und Motorroller
Guido Tartarotti

Guido Tartarotti

Ab und zu sollte man die Perspektive wechseln. Das erfrischt das Denken. Etwa im Straßenverkehr: Jeder Autofahrer, der im Begriffe ist, "Scheißradfahrer!" zu rufen, soll den Mund noch einmal schließen, aufs Rad steigen, durch Wien strampeln und schauen, ob er nachher, falls er noch am Leben ist, immer noch rufen will. Ich bin jetzt nach 25 Jahren Pause wieder Motorroller-Fahrer. (Also nicht nur, ich bin auch Autofahrer, Radler, Fußgänger und immer öfter auch Zuhausebleiber.) Und die Erfahrung ist interessant. Ich weiß nicht, bin ich in diesen Jahren feiger geworden, weil sich das Gefühl, unsterblich zu sein, das jedem 17-Jährigen im Blut herumsummt, verflüchtigt hat? Oder ist der Straßenverkehr anders geworden? Jedenfalls: Bei meinen ersten Ausfahrten hatte ich nur ein Gefühl im behelmten Schädel: nackte Todesangst. Mein zweites Leben als Einspuriger dauerte genau zwei Minuten, da war es fast schon wieder vorbei, weil ein Autofahrer vor mir abrupt auf die Bremse hüpfte, da er einen Parkplatz gesichtet hatte. Immerhin, meine Reflexe sind gut, ich schaffte eine geordnete Vollbremsung, ohne in seiner Heckscheibe zu picken. Interessante Erkenntnis: Autofahrer sehen einen Motorroller nicht, sie parken aus, bremsen, wechseln die Spur, als ob man gar nicht da wäre. Ausnahme: Wenn man vor ihnen fährt. Autofahrer empfinden es offenbar als kränkend, hinter einem Motorroller herzufahren, selbst, wenn der eh locker das Tempo des Verkehrsflusses hält. Angesichts eines Rollers wird sofort überholt, und zwar oft, ohne die Spur zu wechseln. Ich hätte jetzt gern ein lustiges Ende für diese Kolumne, aber mir fällt keines ein. Mein Eindruck aus der neuen Perspektive: Die Straßen sind in den vergangenen 25 Jahren voller geworden, die Grundstimmung ist aggressiver, und die Dodeln fahren noch dodeliger als damals.

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