über LEBEN: Hymnendebatte

über LEBEN: Hymnendebatte
Guido Tartarotti über die Vielfalt der Hymnen.
Guido Tartarotti

Guido Tartarotti

Hymnendebatte. Besonders schön finde ich die Idee mit der Zeile "Heimat bist du großer Kinder", weil sich dann "für das Schöne" nicht mehr so gut reimt. Da geht dann höchstens noch "für die Rinder" oder "frag doch den Inder". Da die Hymne eh arg schlicht geraten ist, könnte man sie gleich ganz neu schreiben. Ideal für diese Aufgabe wäre der auf der letzten Seite dieses feinen Magazins tätige Ernst Molden. Denn erstens ist er zufällig der Enkel der Hymnen-Dichterin, zweitens schreibt er grandiose Songs. Zum Beispiel "Es Lem" aus seinem aktuellen Album: "Unlängst schbed in da nochd / is no wea kumman und hod ma wos brochd / a binkal ned gross oba kaum zum dahem / und dea wos ma s brochd hod / hod gsogd schau dei lem." Wär doch eine schöne Hymne! Falls der Ernstl nicht mag, was ich befürchte, könnten wir ja den Griechen ein bisschen Text abkaufen. Deren Hymne hat 125 Strophen, und sie brauchen eh Geld. Die griechische Hymne ist die längste der Welt (die kürzeste ist die Japans mit fünf Zeilen). Gibt es über Griechenland soviel mehr zu sagen als über Japan? Die brutalste Hymne ist die von Aserbaidschan: Zu einem depressiven Marsch ertönen Zeilen wie "Deine Brust wurde ein Schlachtfeld". Vielleicht handelt die Hymne ja von Schönheits-OPs. Die sympathischste Hymne der Welt ist gewiss die von Spanien. Sie hat nämlich überhaupt keinen Text. Die schönste Hymne überhaupt wurde noch nicht geschrieben. Sie würde, wie John Cages Stück "4,33", nur aus Stille bestehen. Sie würde darauf verzichten, sich durch pathetische Kadenzen, Trommelwirbel, nationales Schluchzen wichtig zu machen. Irgendwann werden die Völker so erwachsen sein, dass sie auf das ganze Abgrenzungs-Brimborium - Hymnen, Flaggen, Grenzen - verzichten können. Nur Pubertierende definieren sich durch Abgrenzung.

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