über LEBEN: Finanzberater

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Guido Tartarotti über schamanistische Frankenkredite.
Guido Tartarotti

Guido Tartarotti

Ich glaube ja, Glücklichsein ist von der Evolution nicht vorgesehen. Wären wir glücklich, dann würden wir keine Opern komponieren, keine Atome spalten, keine Smartphones erfinden. Sondern in der Sonne liegen, Schirmchendrinks schlürfen und vor lauter UV-Strahlung und Langeweile aussterben. Wär vielleicht eh besser. Und jetzt auf einmal schaue ich einem Menschen ins geweitete Auge, der vor Glück strahlt wie ein japanischer Reaktor. "Du hast gute Chancen, bis zum Ende der Kreditlaufzeit noch fünf, sechs Finanzkrisen zu erleben", verkündet er, als wäre es ein Lottogewinn. "Aber das macht nichts, schließlich werden wir alle wiedergeboren." Und mit derselben sachlichen Pragmatik, die ich immer an ihm geschätzt habe, erklärt er mir: Er habe ein schamanistisches Rückführungsseminar besucht und wisse jetzt, dass er in einem früheren Leben Hufschmied im mittelalterlichen Spanien gewesen sei. Lächelnd fügt er an, er versuche noch herauszufinden, ob eine frühere Inkarnation seiner selbst für sich auf einem Schweizer Konto Geld angelegt habe. Ich bin mir gar nicht sicher, ob das ein Scherz ist - Finanzberater denken so. Wir schauen uns die Homepage seiner Haus-Schamanin an: Astrologie, Schamanismus, Bachblüten, Numerologie, Tarotkarten, Engelskurs, Runenlehre, Kabbala, Aura-Singen, Heiltiere, feministische Ausdruckstöpferei ... einmal die esoterische Speisekarte raufrunter, bittedanke. Alles jenseitig teuer, denn je teurer etwas ist, umso eher verspüren die Leute eine Wirkung. "Ich habe keine Angst mehr. Ich freue mich beinahe auf meinen Tod und mein nächstes Leben", sagt er, und ich weiß nicht, ob ich ihn zutiefst beneiden oder mit Schnaps notbehandeln soll. Und ob es für mich gut ist, dass ein angstloser 650 Jahre alter spanischer Hufschmied meinen Frankenkredit betreut, das weiß ich auch nicht.guido.tartarotti(at)kurier.atwww.guidotartarotti.at

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