Heilige Huren
Falls es Ihnen noch niemand gesagt hat: Da draußen wütet eine Fußball-EM und wartet nur darauf, Sie hinterrücks ins Gesäß zu beißen.
Nein, das wird jetzt keine Anti-EM-Kolumne. Fußball-Turniere sind etwas Wunderbares, sie geben dem Alltag Struktur und Sinn (was etwa hätten wir gestern gemacht, wäre nicht Polen gegen Griechenland gewesen – nicht auszudenken!). Fußball-Großereignisse finden überall statt, selbst dort, wo sie nicht stattfinden: Das TV-"Kontrastprogramm" – meist unmenschlich blöde Liebeskomödien mit Harald Krassnitzer in der Rolle als Christine Neubauer und umgekehrt – verweist ja erst wieder nur auf die EM.
Das einzige, was mich an der EM stört: Sie wird in den Medien wieder zum Anlass genommen, die Menschheit streng entlang der Klischees zu sortieren: Da die Männer, die bierschluckend über Lattenpendeln und Manndecken diskutieren; dort die Frauen, die Fußball dumm finden, es sei denn, Herr Ronaldo zieht sich aus.
Wer hat diese der bunten Realität in keiner Weise gerecht werdenden Klischees erfunden? Das waren wir Männer. Man muss uns verstehen: Das Leben ist an sich schon so unübersichtlich und beängstigend – und dann stehen wir noch einem rätselhaften, in seiner Erotik ein wenig unheimlichen Geschlecht gegenüber. Da helfen Klischees, sie geben Halt auf unsicherem Terrain: Frauen sind zu blöd, ein Abseits zu verstehen, und kreischen angesichts einer unbesockten Ribery-Wade verzückt auf. Ja eh. Wer Frauen marginalisieren kann, muss sich weniger vor ihnen fürchten. Deshalb gründen Männer ja auch ständig Religionen, in denen Frauen, je nachdem, ob sie ihre Sexualität ausüben oder nicht, in "Heilige" oder "Huren" eingeteilt werden. Die erfolgreichste Religion heißt übrigens Fußball, und wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen würden, aber NL-DK fängt gleich an.
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guido. tartarotti(at)kurier.at
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