Ein schweres Dilemma

Guido Tartarotti

Guido Tartarotti

Ich glaube, ich entscheide mich für die Bescheidenheit: Ich werde nichts sagen.

von Guido Tartarotti

über Bildungseitelkeit

Unlängst sagte ein Fernsehkoch, der sogenannte Andi, während der Zubereitung von Karottenmuffins Folgendes: „Standing Ovations, das kommt aus dem Englischen und heißt, dass da alle aufstehen.“

Damit stürzte er mich in ein schweres Dilemma: Soll ich es sagen und mich dadurch der schweren Sünde der Bildungseitelkeit schuldig machen? Oder soll ich schweigen, mich im Glanz meiner Bescheidenheit sonnen, und auf die schöne Möglichkeit verzichten, mich zum Anwalt der Sprache zu machen?

Ich könnte Folgendes sagen: Standing Ovations heißt keineswegs, dass da alle aufstehen. Wir verwenden es zwar in diesem Sinn. Aber genau genommen heißt Standing Ovations, also stehende Ovationen, dass die Ovationen stehen, also kein Ende nehmen. Es kann gar nichts anderes heißen, das „stehend“ kann sich nur auf die „Ovationen“ beziehen, ein anderes Wort ist ja gar nicht da. Standing Ovations bedeutet „anhaltender Applaus“, ganz egal, ob die Applaudierenden diesen Applaus stehend, sitzend oder liegend spenden. Könnte ich sagen.

Nun ist es aber so: Niemand wirkt weniger sympathisch als der, der – „Ich weiß es, Herr Lehrer!“ – ständig seine Sprachbildung vor sich herträgt: Olympionike, das ist nicht der Teilnehmer, sondern der Sieger, denn Nike heißt ja ... Da kann er hundert Mal Recht haben, der Herr Gscheit, es wird bald einsam um ihn werden. Einerseits. Andererseits: Der Sprache wird heute so unendlich viel Leid angetan, man sollte keine Gelegenheit auslassen, sie gegen Akte der Grobheit in Schutz zu nehmen. Und setzt exaktes Denken nicht exakte Sprache voraus?

Ich glaube, ich entscheide mich für die Bescheidenheit: Ich werde nichts sagen. Das Karottenmuffin-Rezept ist übrigens super. Es verdient anhaltenden Applaus.

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