Ein 30 Jahre langes Fernrohr
Immerhin: Du hast etwas riskiert.
über poetische Jugendsünden.
Meine sehr geschätzte Klassenkollegin Petra hat mir unlängst etwas ganz Besonderes gemailt: Gedichte, die ich vor 30 Jahren im Schuljahrbuch veröffentlicht hatte. Ich kann mich noch vage erinnern, dass ich damals ständig geschrieben habe, vor allem während des Unterrichts, meine Notizbücher waren Hefte im vorgeschriebenen Schulheftformat, daher fiel es keinem Lehrer auf, dass mein fleißiges Schreiben nicht dem Lehrstoff galt. Leider habe ich all diese Notizhefte ein paar Jahre später bei einer Übersiedlung verloren, ich kann mich an die Texte kaum noch erinnern, manchmal träume ich von ihnen, vage, unkonkret.
Jetzt habe ich dank Petra drei dieser Texte wieder, und das ist ein schönes, aber gleichzeitig sehr gruseliges Gefühl, als könnte man durch ein 30 Jahre langes Fernrohr schauen. Der arrogante, unsichere Kerl von damals ist mir wieder vertraut – und doch fremd.
Meine drei Gedichte handeln wie alle Gedichte von 17-Jährigen vom Tod und von der Liebe (wobei ich die Liebe interessanterweise als Abwesenheit von Angst definierte). Zwei der Texte sind gereimt, der eine in Sonettform, der andere in einem hochkomplizierten Reimschema, von dem ich noch weiß, dass es mich ungeheuer stolz gemacht hat. Junge Menschen mögen ja sowohl das Formale als auch das Vage – ich habe damals Barockmusik ebenso gern gehört wie Satie oder Debussy.
Ich würde dem Jungbuben von damals gerne eine Nachricht schicken: Lieber Freund, für diese Gedichte werden sie dich ziemlich auslachen auf den Gängen der Schule. Aber immerhin: Du hast etwas riskiert. Du hast mehr Abenteuer in deinem Leben, als die, die nie ein Risiko nehmen, weder das eines Gedichts, noch einer anderen Sache, bei der man verletzt werden kann.
Ansonsten: Entspann dich, trag die Nase etwas tiefer und lass die Party am Liechtenstein Ende August 1989 aus, die Folgen sind einfach zu mühsam.
Und bitte: Lass das Reimen sein.
Guido Tartarottis neues Kabarettprogramm "Selbstbetrug für Fortgeschrittene" ist am 18. November, am 20. Dezember und am 20. Jänner im Theater am Alsergrund zu sehen.
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