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,Wie kann man nur so unsensibel sein?'
Interessant ist, dass wir offenbar verlernt haben, zu ertragen, dass andere nicht so sind wie wir. (Dabei macht das ja erst das Leben interessant.) Nichts regt die Menschen in den sozialen Netzwerken so verlässlich auf, wie wenn sich jemand über etwas freut, das sie selbst nicht erfreulich finden.
Besonders krasses Beispiel: Im Frühling postete jemand auf Facebook ein Foto von blühendem Flieder und schrieb sinngemäß dazu: Juhu, Flieder! Mehr hat er nicht gebraucht: Nur Minuten später fand sich dort die säuerlich riechende Bemerkung: „Ich bin allergisch auf Flieder, wie kann man nur so unsensibel sein!!!1!!“
(Merke: Der Facebook-Profibeleidigte lässt keine Gelegenheit aus, sich selbst als Opfer einer Kränkung zu konstruieren, in diesem Fall die unfassbare Diskriminierung, als Flieder-Allergiker für Sekunden das Foto von Fliederblüten sehen zu müssen. Die Großmeister im Grämlichsein brauchen aber gar keine persönliche Betroffenheit, um auf Betriebstemperatur zu kommen – sie sind einfach stellvertretend beleidigt: „Denkt denn niemand an die Flieder-Allergiker, wie kann man nur so unsensibel sein!!!1!!!“)
Es ist überhaupt erstaunlich, wie viele Menschen die sozialen Medien nur verwenden, um sich selbst als Opfer erleben zu dürfen. Ich kenne jemanden, der Twitter als übergroßes Plastiksackerl verwendet, um dort täglich – frei nach dem Motto „Red’s in ein Sackl und hau’s in Wald“ – seine Beschwerden ans Universum zu deponieren. Beschwerden, die immer mit Wetter und/oder öffentlichen Verkehrsmitteln zu tun haben: Es ist zu kalt, zu warm, zu nass, Straßenbahn versäumt, in der U-Bahn stinkt’s. Ich muss mich immer zurückhalten, nicht den Vermerk „Mahnwache!“ dazu zu posten. Im Ernst: Macht einen das nicht seelisch kaputt, wenn man sich Tag für Tag als machtloses Opfer höherer Gewalt konstruiert?
Die größte Erregung erntet man in den sozialen Medien mit: Rosinen und Hitze. Darüber reden wir nächstes Mal.
Guido Tartarottis Kabarettprogramm "Selbstbetrug für Fortgeschrittene" ist am 11. September im Kabarett Niedermair zu sehen, am 27. September im Theater am Alsergrund, am 29. September in der Bühne im Hof in St. Pölten und am 5. Oktober in der Stadtgalerie Mödling.
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