Unbedingte Freundschaften
Mein Freund, der Schauspieler, hat einen ambivalenten Ruf.
Mein Freund, der Schauspieler, war da. Überraschend aufgetaucht. Nicht wegen mir natürlich, aber ich habe seinetwegen eine Nacht verlängert im schönsten Hotel der Welt. Ich wusste, das würde laut, feucht und vielleicht ein wenig grob werden. Mein Freund, der Schauspieler, hat einen ambivalenten Ruf.
Es heißt, er sei laut, grob und habe es gern feucht, und außerdem müsse sich immer alles um ihn drehen. Ich glaube, das stimmt. Aber es macht mir nichts. Es macht mir auch nichts, dass etliche andere meiner Freunde finden, es sei seltsam, dass der Schauspieler mein Freund ist. Ob ich vielleicht ein wenig promigeil geworden sei auf meine alten Tage. Bin ich, glaube ich, nicht. Aber natürlich überlege ich jetzt, warum der Schauspieler eigentlich mein Freund ist. Keine Ahnung, es ist einfach so. Einfach sind die ja alle nicht.
Der Wirt, sein Bruder, der Direktor und der Magier: Gegen viele meiner Freunde spricht vieles. Und alles, was für sie spricht, geht als Argument nicht wirklich durch. Das erinnert mich an eine der Definitionen, die mich, als ich jung war, besonders fasziniert haben: „Gnade“ beschreiben die Theologen als „unverdiente Zuwendung“.
Kippt man dieses Beziehungsmodell von der Vertikalen in die Horizontale, deutet sich eine mögliche Erklärung für unsere Freundschaften an, die weder von gemeinsamen Unternehmungen noch von gemeinsamen Feinden noch von gemeinsamen Lebensumständen getragen und genährt werden: Solche Freundschaften leben von der Unbedingtheit. Wir kennen das am besten von unseren Kindern: Wir lieben sie bedingungslos, auch wenn wir nicht behaupten können, dass sie nur gute Eigenschaften haben. Meinen Freund, den Schauspieler, nennen sie gelegentlich „das Kind“. Sie meinen das nicht immer freundlich. Ich schon.
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