Zynismus

Michael Fleischhacker

Michael Fleischhacker

Ob es für uns einen dritten Weg zwischen Alkoholismus und Komikerdasein gibt, weiß ich nicht.

von Michael Fleischhacker

Über Journalisten

Im Wesentlichen, erklärte mir mein großer Lehrer vor nun auch schon wieder bald einem Vierteljahrhundert, gebe es für den Journalisten, wenn er über eine gewisse Trennschärfe im Hirn verfüge, nur zwei Möglichkeiten: Er könne Komiker werden oder Alkoholiker.

Da ich weder Alkoholiker noch Komiker geworden bin, muss es entweder einen dritten Weg geben, oder ich verfüge nicht über ausreichend Trennschärfe im Hirn. Letzteres würde ich mir als bekennender Selbstüberschätzer nur ungern eingestehen, und so beschäftigt mich seit einiger Zeit die Frage, ob ich ihn damals richtig verstanden habe. Ich glaube, er wollte mich schonend auf die Erfahrung vorbereiten, dass es für einen, der sich die fortwährende Beschreibung der österreichischen Wirklichkeiten zum Beruf gewählt hat, zum Zynismus nicht leicht eine Alternative gibt. Ich kann mich nicht erinnern, ob in unseren damaligen Gesprächen Wahlplakate eine besondere Rolle gespielt haben, aber es kann kein Zufall sein, dass mich die derzeit doch relativ intensive Konfrontation mit den Wort-Bild-Müll-Kompositionen der wahlwerbenden Gruppen an unsere seinerzeitigen Gespräche erinnert. Die täglichen Banalitätsgranaten schlagen inzwischen nicht mehr in meiner unmittelbaren Nähe ein, ich erlebe das politische Grundrauschen der Republik eher als Tinnitus: Er geht nie wieder weg, aber ich lerne, ihn zu ignorieren. Ob es für unsereins einen dritten Weg zwischen Alkoholismus und Komikerdasein gibt, weiß ich noch immer nicht. Eher nein, würde ich sagen. Vielleicht muss man einfach immer nur gerade so viel trinken, dass man es auch ungefähr so lustig hat wie die anderen. Oder man begreift in den Trinkpausen den Zynismus als das, was er im günstigsten Fall sein kann:

Eine letzte Variante der Aufklärung in einer abgeklärten Welt.

Kommentare