Zum Umblättern von Büchern wird man bald nicht einmal mehr den Finger brauchen.

von Michael Fleischhacker

über Zukunftsvisionen

Ray Hammond, Godfather der Zukunftsforscher, erzählte dieser Tage, was er mit seinem zweijährigen Enkel erlebt, wenn er ihm aus einem Buch vorliest: Der Knabe streicht mit dem Finger über die Seite, und nach dem dritten erfolglosen Versuch, auf diese Weise zur nächsten Seite zu gelangen, sagt er: „Book doesn’t work.“

Macht nichts, denn spätestens dann, wenn er selber Bücher lesen kann, falls er es lernt, wird er zum Umblättern nicht einmal mehr den Finger brauchen. Die augmented-reality-Brille, die er dann tragen wird, steuert er mit einer kleinen Pupillenbewegung, meint sein Opa. Namensschilder braucht man dann auch nicht mehr: Der Name jedes Menschen, dessen man ansichtig wird, erscheint samt Geburtsdatum, Religionszugehörigkeit, Schuhgröße und Lieblingsbiersorte im permanenten head-up-Display. Falls der Gesehene diese Daten zur Verfügung stellen will. Falls nicht, dann auch. Denn irgendwo in der Cloud gibt es von jedem ein Bild, und die Gesichtserkennungssoftware gehört zur Basisausstattung. Gute Nachrichten für Ray Ban, Rodenstock und Maui Jim: Der Anteil der Brillenträger an der Gesamtbevölkerung wird 100 Prozent betragen. Schlechte Nachrichten für jene Menschen, die in der Stadt leben, weil sie Menschenmengen brauchen, um allein zu sein: City doesn’t work.

Matrix“, denken wir da sofort. Neo, der Erwählte, Morpheus, der Kapitän, Trinity, die Liebende. Und natürlich Zion, die Zuflucht der Menschen, die aus der Matrix befreit wurden und an einem Ort, der nach Hightech-Neandertal aussieht, dem Endkampf gegen die Maschinen entgegenbangen. Unbequem das alles: Wenn überhaupt Bücher, dann solche zum Umblättern, vermutlich kein laktosefreier Soja-Chai mit organic Kümmelkeksen, kein Bugaboo, kein Car-Sharing, keine musikalische Früherziehung für Zweijährige: Wer will so etwas?

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