Liebe, Glaube, Sinn
Ich würde Ihnen gerne empfehlen, lieber die Autobiografie des Bischofs von Hippo zu lesen als die „Bunte“.
Armin Thurnher, der Meister der ideologischen Sanftwut, zitiert in seinem neuen Buch („Republik ohne Würde“) Augustinus. Das gefällt mir, denn es ist schön zu sehen, dass es neben den vielen agnostischen Katholiken auch ein paar katholische Agnostiker gibt. Bei dem Versuch, zu erklären, was „Würde“ ist, schreibt Thurnher also, sei ihm Augustinus in den Sinn gekommen. Der schreibt im 11. Buch seiner „Confessiones“ über das Wesen von „Zeit“: „Wenn niemand mich danach fragt, so weiß ich es; sobald ich es jedoch einem Fragenden explizieren will, weiß ich es nicht.“So geht es uns mit allem, was wirklich wichtig ist. Liebe, Glaube, Sinn: Wir wissen, was es ist, solange wir nicht darüber sprechen müssen. Das ist der Grund für unseren Ekel gegenüber der geschwätzigen Ausbreitung „großer Gefühle“, und es ist auch der Grund dafür, dass wir diese geschwätzigen Ausbreitungen fast manisch konsumieren. Der Erfolg der Innerlichkeitsprosa, sei es nun in Form von Liebes-, Glaubens- oder Sinnratgebern oder in Form von Tratschmagazinen, in denen traurige Prinzessinnen erklären, wie sie den Sinn in ihrem Leben wiedergefunden haben, verdankt sich dieser Gleichzeitigkeit von Lust und Ekel. Wir finden es zwar unangemessen, billig und peinlich, wenn Schauspieler, Sportler und Manager über die Dinge plappern, die man nur wissen kann, solange man nicht über sie spricht, aber wir verschlingen den ganzen Mist. Warum? Weil wir die Hoffnung nicht aufgeben wollen, dass irgendetwas dabei ist, das uns auch selbst zum Sprechen bringen kann. Ich würde Ihnen jetzt gerne empfehlen, lieber die Autobiografie des Bischofs von Hippo zu lesen als die „Bunte“. Aber das wäre fast so als würde ich Ihnen weismachen, ich hätte in diesem großartigen Buch den Sinn wiedergefunden. Und das möchten Sie nicht wirklich.
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