Fleischhackerismus

Michael Fleischhacker

Michael Fleischhacker

Die Neigung, das Gegenteil von dem zu behaupten, was Anstand und Sitte in unserem zivilisierten Land so gebieten.

von Michael Fleischhacker

über Fleischhackerismus

Meine Sympathie für die Bösen macht nicht nur mir selbst, sondern auch vielen meiner Freunde und Feinde gelegentlich zu schaffen.

Bei meinen Freunden im „Falter“ stand vor Kurzem zu lesen, unter „ Fleischhackerismus“ habe man die Neigung zu verstehen, „einfach das Gegenteil von dem zu behaupten, was Anstand und Sitte in unserem zivilisierten Land so gebieten.“ Zwei Absätze weiter hieß es: „Wir vom Falter sind vor solchen Versuchungen gefeit.“ Ich weiß, dass es problematisch ist, sich durch negative Zuschreibung von Menschen oder Organisationen, denen es an Urteilsvermögen gebricht, Bestätigung zu erwarten. Dennoch: Diese in ihrer maturantischen Unbeholfenheit schon wieder kunstvolle Selbstbeschreibung des ostösterreichischen Moralspießertums hat mir weitergeholfen. Es gibt wirklich gute Gründe, Menschen interessanter zu finden, die vor Versuchungen nicht gefeit sind und die nicht wissen, was Anstand und Sitte in unserem zivilisierten Land gebieten, als die Buchstabenspießergangs, die aus der Mariahilfer Straße die Bronx von Bobostan machen möchten.

Selbst aus der Bigotterie von Übeltätern ist im Lauf der Jahre und Jahrhunderte so viel Wichtigeres und Schöneres erwachsen als aus dem Anstandsgesülze der Unversuchten! Neulich hatte ich in Padua das Glück, ohne große Warteschlange in die Scrovegni-Kapelle zu kommen. Die Scrovegnis waren Leute, die vor dem „Falter“-Scherbengericht keine Chance gehabt hätten: Neoliberale Wucherkapitalisten des 13. Jahrhunderts, Blutsauger und Ausbeuter, wie sie im Buche stehen. Der Junior ließ, um den Senior aus dem Fegefeuer zu holen, eine Kapelle bauen und von Giotto ausmalen.

Das macht ein bisserl mehr her als die Aussicht auf das zustimmende Sakristeigekritzel von Wiener Moralministranten.

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