Zwischen Favelas und Maracanã

Hungrig: Diesen jungen Balltalenten in Bahia ist dank des Sozialprojekts von Markus Schruf Verpflegung, geregeltes Training in sauberen Trikots plus eine Schulausbildung garantiert.
Wolfgang Winheim

Wolfgang Winheim

Ein Niederösterreicher ist im WM-Land Profi-Trainer und Sozialhelfer.

von Wolfgang Winheim

über eine Doppelrolle in Brasilien

Alfred Riedl bezieht heute als Teamchef des größten moslemischen Landes der Welt mit 24 von 246 Millionen Indonesiern in Valencia ein Trainingscamp. Rene Pauritsch wird das kleine Liechtenstein in der EM-Qualifikation gegen das ÖFB-Team coachen. Doch es gibt einen weiteren österreichischen Entwicklungshelfer. Obwohl diese Bezeichnung kühn klingt in Anbetracht des Landes, in dem Markus Schruf arbeitet. Brasilien!

Als Cheftrainer von Boavista saß er heuer sogar im Maracanã-Stadion auf der Bank, als es galt, mit einer Nachwuchstruppe aus dem (63.000 Einwohner zählenden) Vorort Saquarema von Rio gegen Kaliber wie Flamengo zu bestehen.

Als Leiter eines Sozialprojekts, das über 22 Zweigstellen in elf brasilianischen Bundestaaten verfügt, bringt er mit Hilfe lokaler Mitarbeiter jugendliche Ballzauberer von der Straße weg. Das versuchen 4500 andere Escolinas offiziell auch. Manchen wird freilich nachgesagt, dass sie vor allem profitgierigen Managern dienen, die Talenten eine Karriere vorgaukeln, um sie dann seelisch verkümmern zu lassen. Zunächst aber strahlen die Augen der Buben, wenn sie in sauberen Dressen erstmals mit Stoppelschuhen gegen neue Bälle treten dürfen.

Ohne Gewalt

Firmen, die in Fußball-Ausbildung investieren, werden mit Steuervorteilen belohnt. Das erleichtert Schruf die Sponsorsuche für seine Non-Violence-Foundation. Der Niederösterreicher hält auch Workshops in den Favelas ab. Angst? Schruf verneint.

Es bedarf nur ortsbekannter Begleitung, dann ließe man ihn gefahrlos hinein. Sogar Gondelbahnen gebe es, die hinauf auf die Hügel der Armen führen. "Fast wie bei uns in einem Skigebiet."

Zwischen Favelas und Maracanã
15.02.2014 Fussball , Graz , Bundesliga , UPC Arena Sturm Graz - Salzburg Andre Ramalho. Copyright Agentur DIENER / Philipp Schalber

Schruf startete vor fünf Jahren, nachdem er zuerst für den Austria-Nachwuchs und anschließend in einer kalifornischen Soccer-Akademie tätig gewesen war, sein Brasilien-Abenteuer in der Red Bull Fußballschule von São Paulo. Dort machte er Andre Ramalho Silva("Ein braver Junge aus dem Mittelstand") europafit.

Salzburg im Brasil-TV

Ramalho, 22, ist der bislang einzige aus der brasilianischen Akademie des Dosen-Imperiums, der in Europa den Durchbruch schaffte. Am Vortag des Europa-League-Outs hatte Ramalho noch mit seinem Entdecker telefoniert, ehe der in 9700 Kilometern Entfernung mitlitt. SalzburgBasel wurde in Brasilien direkt übertragen.

Schruf ist über das europäische Fußballgeschehen ungleich besser informiert als unsereiner 81 Tage vor der WM über jenes im Veranstalterland. Oder wussten Sie,

... dass bis in die vierte Liga hinab sämtliche brasilianischen Kicker Profis sind, die in der Nacht vor jedem Match kaserniert werden?

... dass die Spieler jeden dritten Tag um Punkte kämpfen müssen, weil der Terminplan so überladen ist;

... dass vor allem Nachmittag trotz brütender Hitze angepfiffen wird, weil die meisten Stadien im WM-Land über kein Flutlicht verfügen;

... dass die Zielvorgabe von Red Bull (= Platz in der gesamtbrasilianischen Liga ab 2015) schon aus Statuts- Gründen ebenso unrealistisch ist wie für Schrufs Boavista-Klub trotz dessen Rang 5 (= 6 Punkte vor Botafogo) in Rios Carioca-Liga?

... und dass der brasilianische Ronaldo vom Ex-Weltmeister zum unbeliebten OK-Chef wurde, seit der Torschützenkönig der Weltmeisterschaft von 2002 verbal übers Ziel schießt.

Naiver Ronaldo

"Mit Stadien kann man eine schöne WM machen. Mit Spitälern nicht." Wer so dumm daherplappert, darf sich nicht wundern, wenn die Stimmung aggressiver wird je näher die WM rückt. Über 50 Prozent, berichtet Schruf, seien bereits gegen die WM.

Wie im arabischen Frühling und in der Türkei wurden im Fußball-Wunderland die Social medias und Online-Videos unterschätzt. Denn so arm das Volk auch ist – jeder Strandkicker hat ein Handy. Egal, ob gekauft oder geklaut.

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