Tagebuch: Österreich ist anders

Wolfgang Winheim
In Wien haben Leut' die Chance, für intellektuell gehalten zu werden, wenn sie damit prahlen, nichts von Fußball zu verstehen.
Wolfgang Winheim

Wolfgang Winheim

Am Donnerstag marschieren 1059 junge Athleten am Bergisel ein. 81 sind Österreicher. 250 Journalisten aus 99 Ländern tagen schon vor der Eröffnungsfeier. Ihnen, vor allem aber ihrem italienischen Präsidenten Gianni Merlo, wird es zu verdanken sein, wenn die ersten Jugend-Winterspiele auch außerhalb Österreichs eine mediale Bühne bekommen.Caporedattore Merlo versucht, Jugend-Olympia aufzuwerten, indem er den Weltkongress der Sportjournalisten damit koppelt und Reporter für Innsbruck ködert, die noch nie Schnee gesehen haben.Merlo ist ein Urgestein der Gazzetta dello Sport - jener lachsfarbenen Mailänder Sportbibel, die Italienern zum Frühstück heilig ist wie der Cappuccino.Auch in Spanien beginnen täglich erscheinende Fußball-Zeitungen (Marca, AS), die politischen Blätter an Auflagenstärke zu übertreffen. Und in Frankreich gehört L’Équipe zu den größten Print-Produkten der Grande Nation.Überall in Europa, auch dort, wo die Fußballer ähnlich weit von einer EM entfernt sind wie die ÖFB-Kicker, bauen Medien die Sportberichterstattung aus. Hierzulande löst Die Presse ihre Sportredaktion auf.Eine tägliche Sportzeitung existiert seit Jahren nicht. Und in Wien haben Leut’ die Chance, für intellektuell gehalten zu werden, wenn sie damit prahlen, nichts von Fußball zu verstehen.Ehe beim Leser der Eindruck entsteht, er werde mit sportjournalistischem Verfolgungswahn konfrontiert, sei klargestellt: Ein bissel ist der Sport schon selbst schuld. Zu viele Wett- und andere Skandale, zu viele gedopte Unschuldslämmer, zu viel Hass unter Fußball-Fangruppen, zu viel Geld für Konjunktivstars.Doch andererseits: zu viele dicke Jugendliche, zu viele Haltungsschäden. Forderungen nach der täglichen Turnstunde verpuffen seit Jahren wirkungslos.Die 81 österreichischen Olympia-Starter sind nicht repräsentativ für die Jugend im Gastgeberland, sondern sie sind eher die Ausnahmen einer gefährlich bewegungsarmen Generation.

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