Mücke oder Elefant?

Ein problematischer Slalom zwischen Schildbürgerstreich und gefährlicher Drohung verhilft Österreich zu ungewolltem internationalen Echo.
Wolfgang Winheim

Wolfgang Winheim

Gefährlicher Choleriker oder perverser Spaßvogel? Alarm schlagen oder ignorieren?

von Wolfgang Winheim

über den Drohbrief

Es muss am 5. Februar 1972 gewesen sein: Der von Olympia ausgeschlossene Karl Schranz befand sich gerade auf dem Flug von Sapporo nach Tokio, als ein Unbekannter in Wien bei mir, dem Nachtredakteur, ins Telefon schrie, er werde vor dem KURIER-Haus eine Bombe zünden. Am selben Abend drohte ein anderer, er werde den Reporter, der „unseren Karli “ zu wenig unterstützt und das „IOC-Pack“ zu wenig attackiert habe, eigenhändig umbringen.

Schon damals lautete die quälende Frage: gefährlicher Choleriker oder perverser Spaßvogel? Alarm schlagen oder ignorieren?

Inzwischen sind die Vorsichtsmaßnahmen professioneller. Inzwischen haben jedoch auch unberechenbare Typen viel mehr Möglichkeiten, um ihre irren Spielchen zu realisieren oder sie zumindest medienwirksam zu platzieren.

Eines jedenfalls hat jene Person (oder Gruppe), die via Post ans ÖOC vor einer Entführung von Bernadette Schild und Skeleton-Europameisterin Janine Flock warnte, schon erreicht:

lautes Echo. Wobei quer durch Online- und andere Foren trotz gleich bescheidenem Informationsstand auf das Wildeste spekuliert wird. So, als gäbe es auch für Exklusivberichte Medaillen. Dass in ersten offiziellen Meldungen Marlies mit Bernadette verwechselt wurde, entpuppte sich obendrein als Schildbürgerstreich.

Den Athleten kann man’s jedenfalls nicht verübeln, wenn sie sich abkapseln. Oder wenn sie Äußerungen in der Öffentlichkeit über umstrittene Gesetze und politische Ungereimtheiten vermeiden. Marlies Schild galt diesbezüglich stets als die personifizierte Vorsicht. Als eine, die jedes Wort auf die Waagschale legt. Und anfänglich bei Interviews Schwester Bernadette ermahnte, wenn die jüngere Schild unbekümmert Rede und Antwort stand.

Wie seine Langzeitfreundin Marlies lässt sich auch Benjamin Raich selten bis nie zu kühnen Meldungen vor Mikrofonen hinreißen. Ein Jahrzehnt lang war Raich Österreichs vielseitigster und erfolgreichster Skirennläufer. Nur hat ihm sein Fleiß nebst vielen Medaillen auch hartnäckige Rückenschmerzen beschert.

In Sotschi wird er deshalb nicht im Kombi-Bewerb antreten (obwohl er Österreichs aussichtsreichster Kandidat wäre) und damit dem Österreichischen Skiverband auch einen Kniefall vor der FIS ersparen, zumal Raich aufgrund einer neuen, kuriosen FIS-Regel die automatische Starterlaubnis für Olympia (wegen zu weniger Abfahrtsresultate) fehlt.

Raich wird sich nach seinem Kombi-Nein eine verfrühte Anreise ersparen und daher bei der Eröffnungszeremonie (die statt im ORF bei ATV zu sehen ist) am Freitag auch nicht – wie ursprünglich geplant – die österreichische Fahne tragen.

Der 36-Jährige wird bei seinen vierten und letzten Spielen in Riesentorlauf und Slalom starten. Die Torläufe finden bei Herren wie Damen nach den Speed- und Kombi-Bewerben statt.

Raich wird deshalb ebenso wie die Schild-Schwestern erst in der zweiten Woche nach Sotschi fliegen.

Dann, wenn hoffentlich der Sport wieder die Sportseiten dominiert.

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