Tagebuch: Kein Witz
Die Kickerei sei schuld. Abfahrtstrainer Andreas Evers begründete die Abfahrts-Schwäche des Benjamin Raich einmal damit, dass der bedingt durch seine O-Beine, die er sich beim Fußball eingehandelt habe, auf Gleitpassagen zu sehr aufkante. Drei Tage vor seinem 34. Geburtstag aber gelang dem verhinderten Balltreter aus dem Pitztal der lang ersehnte Volltreffer. Ausgerechnet in einem Speedbewerb hat Raich den ersten Sieg nach seinem Kreuzbandriss errungen. Ausgerechnet in Crans Montana. Dort, wo Österreichs Alpine bei der WM 87 die bittersten Tage der Skigeschichte erlebt hatten. Als Pirmin Zurbriggen und Peter Müller die rot-weiß-roten Brettlrutscher zu Statisten degradierten; als Peter Wirnsberger trotz optischer fehlerlos Abfahrt langsamer war als der zwei Mal gestürzte Italiener Michael Mair; als Cheftrainer Dieter Bartsch mit seiner (gar nicht ganz falsch gewesenen) Theorie vom ausländischen Wunderwachs zur Lachnummer verkam; als das Zürcher Boulevardblick Blick täglich einen Österreich-Witz abdruckte; als Roswitha Steiner (sie kümmert sich heute u. a. um arbeitslose Kicker) mit Slalom-Silber auf dem Podium ausgepfiffen wurde; als Autos mit A-Kennzeichen zerkratzt wurden; als der Deutsche Disco-King Frank Wörndl (heute seriöser Eurosport-Kommentator) dem ÖSV die letzte Goldchance raubte, indem er vor Günter Mader Slalomweltmeister wurde; als Beat Feuz zur Welt kam. Am Samstag meinte der Schweizer Weltcup-Anwärter Feuz in Anspielung auf Raichs Popularität in der Schweiz lachend, man sollte Raich einbürgern. Die Schweizer feiern Big Ben wie einer der Ihren. Vergessen sind alte Vorurteile. Das gilt umgekehrt auch für den ersten Schweizer Teamchef im österreichischen Fußball. Vor seiner Heimpremiere (Mittwoch gegen Finnland) haben auch Skeptiker erkannt: Marcel Koller kann man so leicht kein X für ein O vormachen.
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