Olé trotz Oje

Wolfgang Winheim
Tagebuch: In Österreich bevorzugen Jugendtrainer gern Frühreife, in Spanien zählt die Technik.
Wolfgang Winheim

Wolfgang Winheim

In Deutschland, wo der Grat zwischen Jubel und Empörung traditionell schmal ist, wurde nach dem Ausscheiden allen Ernstes diskutiert, ob das Mitsingen bei der Hymne für Nationalspieler gesetzlich zur Pflicht erklärt werden soll. Hintergrund: Die Italiener hatten schon während der Hymne besonders patriotisch und motiviert gewirkt.Das überbewertete Thema dürfte sich erledigt haben, seit die Spanier (zumal deren Hymne keinen Text hat) nicht einmal ihre Lippen bewegten und danach den stimmkräftigen Italienern trotzdem den Marsch geblasen haben.4:0. Nicht ein einziger der 200, ausnahmslos aus Vereinsfunktionären, Trainern und anderen Experten bestehenden Gäste des Fußballbundes erriet beim Tipp-Spiel anlässlich des gemeinsamen Finaleschauens in Hübners Kursalon das Resultat.Schließlich waren die Spanier in den Spielen zuvor zu wenig auf den Torabschluss bedacht gewesen. Ja, ihr endloses Kurzpassspiel hatte neutrale Beobachter schon vor dem Bildschirm einschlummern lassen.Genau diese Ballstafetten aber sind es, mit denen die Spanier die Branche revolutionierten und mit denen sie sich auch im Fall eines zwischenzeitlichen Tiefs hochkarätige Gegner vom Leibe halten. Olé schreien die Zuschauer bei jedem Ballkontakt. Nicht nur in Barcelona, sondern auch in der Segunda Division. Nicht nur bei den Profis, sondern schon bei Zehnjährigen.Dieses den Ball zirkulieren und den Gegner im Kreis taumeln lassen wird seit Jahren forciert. Iniesta und Xavi haben es perfektioniert. Sie wollen selbst dann noch, wenn sie umringt von Gegnern sind, mit einer im TV nicht wahrnehmbaren Schärfe angespielt werden. In vermeintlich aussichtslosen Situationen, in denen in Wien der Pass­gebende bereits beschimpft wird.Iniesta hat optisch so gar nichts Respekt­einflößendes an sich. Wenn er und Xavi bei einem Juxkickerl hierzulande mitwirken würden, hätten sich zuvor beim Aufwärmen die Gegner mit einem verächtlichem Blick gedacht: "Mit denen hamma heute unsere Hetz."Gleiches wurde in dieser Kolumne schon vor vier Jahren geschrieben, als die Spanier in Wien Europameister wurden. Inzwischen sind die Champions – ergänzt von Mata , Alba , Pedro – nicht größer geworden. Das Durchschnittsmaß ihrer Centrocampistas, ihres Mittelfeldes, ist das geringste aller Teams. 1. Deutschland 1,83 Meter, 2. Kroatien 1,82, 3. Dänemark 1,81, ....6. Italien 1,79 ... 16. Spanien 1,74.

Um Jahre voraus

Anders als in Österreich, wo Jugendtrainer wegen des Augenblickerfolgs gern Frühreife bevorzugen, zählt in Spaniens Nachwuchszentren die Technik. Und anders als in spanischen Chefetagen (zwölf Vereine der ersten und zweiten Division im Konkurs) wird an der Basis seriös gearbeitet.Die Ausbildung gilt als beispielgebend, weshalb in nächster Zeit nicht nur Facharbeiter, sondern auch immer mehr arbeitslose Profis aus der zweiten und dritten Liga in Mitteleuropa einsickern und sich trotz Sprachproblemen rasch durchsetzen werden.Nicht zufällig sind die Spanier auch bei der heute beginnenden U-19-EM Titelverteidiger und Favorit. Es bedarf keiner hellseherischen Qualitäten, um zu prophezeien: Selbst wenn ihre Banken noch so krachen – im Fußball sind die Spanier noch lange eine Bank.

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