Mitten im Atlantik

Wolfgang Winheim
Tagebuch: Die Vorfälle in Hartberg sollte man nicht bagatellisieren.
Wolfgang Winheim

Wolfgang Winheim

Österreich ist anders. Oder wo sonst lockt eine Relegationspartie für die zweite Liga mehr Zuschauer an als zur gleichen Zeit ein Länderspiel? 12.000 beim 0:0 zwischen Österreich und Rumänien in Innsbruck, 14.000 bei der Nullnummer zwischen dem GAK und Hartberg in Graz.

Der Groteske folgte ein Skandal. Beim Retourspiel in Hartberg stürmten GAK-"Fans" bei 3:0 für Hartberg den Platz. Verletzte, Sachbeschädigung, Abbruch.

Weil das von (vorangekündigten) Racheakten geprägte Lokalderby während des hochkarätigen EM-Eröffnungsabend über die Provinzbühne ging, wird der steirische Eklat außerhalb der Landesgrenzen wenigstens kaum registriert. Trotzdem wäre es falsch, die Vorfälle zu bagatellisieren mit den üblichen Argumenten, wonach es sich nur um eine Minderheit von Rabauken gehandelt habe, der Hartberger Sportplatz zu klein sei und solche Aufstiegsspiele generell verboten gehörten.

High Noon

Fußball-Landesfürsten wetterten schon im Vorfeld gegen die Relegation, indem sie anprangerten: Dass Regionalliga-Meister nicht automatisch aufsteigen, gäbe es nur in Österreich. Die Behauptung ist unwahr. So kämpfen in Spanien nicht weniger als 16 Klubs, obwohl ausgelaugt von jeweils 38 Regionalliga-Runden, um nur vier Zweitliga-Plätze, kommt es am Sonntag auf Teneriffa und Mallorca gar zum High Noon, müssen sich Spieler und Zuschauer in der Mittagshitze auf ein kollektives Wettrösten gefasst machen. Anpfiff 12 Uhr.

Die brutalen Play-off-Spielzeiten sind notwendig, weil auf den Urlauberinseln drei Stunden später kaum wer, der nicht in der Wiege oder im Altersheim liegt, den EM-Start vom Titelverteidiger im (konträr zum ORF gebührenfreien) spanischen Free-TV versäumen will.

Laut Meinungsumfragen und TV-Quoten hat Spaniens Nationalteam in Relation zur Einwohnerzahl die meisten Fans dort, wo die Entfernung zu Madrid am größten und die Arbeitslosigkeit am höchsten ist. Mitten im Atlantik. 62 Prozent der 2 Millionen Kanarios lassen kein TV-Länderspiel aus. Fußball dient zum Ablenken vom sozialen Absturz.

Wie sich Real- und Barça- Stars im Team vertragen und wen Teamchef Del Bosque am Sonntag gegen das krisengeschüttelte Italien stürmen lässt – diesen Fragen wird fast mehr medialer Raum gewidmet als der Finanznot. Der Süden ist anders.

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