In Kitzbühel spielt die Musik

Warum sich die Teamkollegen mit Streif-Sieger Hannes Reichelt ehrlich freuten und Marcel Hirscher auf Du und Du mit der Politik ist.
Wolfgang Winheim

Wolfgang Winheim

Reichelt galt im Einzelsport Ski stets als Teamplayer

von Wolfgang Winheim

über Kitzbühel-Sieger Hannes Reichelt

Waldhornbläser, Pilotenschein-Besitzer, vielseitiger Skiläufer! Doch Abfahrtsstar? Nein, als solcher hat sich Hannes Reichelt nie gefühlt. Er empfand’s schon als Ehre, dass er mit Mirjam Weichselbraun und seinem Chef im ÖSV, Hans Pum, TV-Werbung machen durfte. Und dass er einen Winter davor in Ermangelung anderer Sponsoren mit Helmwerbung für Ö 3 live dabei sein konnte.

Reichelt galt im Einzelsport Ski stets als Teamplayer. Als einer, „der auch mir Jungem immer hilft“ (Florian Scheiber). Umso größer (und ehrlich) ist unter Mannschaftskollegen die Freude, dass das Mitglied der Radstädter Musikkapelle am Hahnenkamm allen den Marsch geblasen hat. Und dass jetzt endlich zu Ehren des freundlichen Hannes auch in Kitzbühel erstmals die Bundeshymne ertönte.

Davor und danach wurde der 33-Jährige zum kollektiven Schulterklopfen herumgereicht – von Mikrofon zu Mikrofon, von Empfang zu Empfang.

Bisher hatte der Salzburger Reichelt keinen Pressebetreuer benötigt wie einst der Salzburger Hermann Maier und nun der Salzburger Marcel Hirscher. Letzterer kam, obwohl genervt vom Slalom-Einfädler und den banalen Fragen nach dem Warum, noch am Abend seiner Niederlage Sponsor-Verpflichtungen nach. Beim A1-Empfang grüßte er den ehemaligen deutschen Außenminister Guido Westerwelle mit einem „Servaaas“, weil Kitzbühels Obervermarkter Harti Weirather davon ausgegangen war, dass der Politiker dem Slalom-Matador ein Begriff sei.

Auf der Kitzbüheler Audi-Winterteststrecke traf er mit Bayern Münchens rekonvaleszenten Fußballstar Bastian Schweinsteiger zusammen, der mit 13 demselben Ski-Schülerrennkader wie Felix Neureuther angehört hatte.

Nach Neureuthers Flutlicht-Gala schickte Schweinsteiger dem glücklichen Felix sofort ein Glückwunsch-SMS – so wie es umgekehrt Neureuther nach jedem Bayern-Triumph (also jede Woche) versendet.

Trotz des goldenen deutschen Ski-Freitags gingen Kitzbühel-Slalomsieger Neureuther und Cortina-Siegerin Maria Höfl-Riesch in der medialen Hysterie um den Bundesliga-Auftakt jenseits des Weißwurstäquators weitgehend unter. Dafür fällt’s dort auch kaum jemandem auf, dass Deutschland in der olympischen Herren-Abfahrt keinen einzigen Starter stellen wird. Sepp Ferstl, Sohn des gleichnamigen ehemaligen zweifachen Streif-Siegers, verpasste die Qualifikation ebenso wie Stephan Keppler.

Dennoch hat sich die Abfahrtsweltklasse auch in Sotschi an einem Deutschen zu orientieren: So wie in Kitzbühel hat der scheidende FIS-Weltcup-Direktor Günter Hujara auch beim Wettfahren um olympische Medaillen noch ein letztes Mal das letzte Wort.

Der wegen seines Oberlehrer-Stils oft angefeindete Schwarzwälder darf stolz darauf verweisen, dass es in seiner Abschiedssaison bisher zu keinem einzigen folgenschweren Unfall gekommen ist. An der Nachwuchsfront ist das anders. Reichelt kann’s bestätigen: Beim Europacup-Finale 2005 war er mit zerfetztem Knie auf der (italienischen) Strecke geblieben.

Auch auf dem zähen Weg zurück blies der bescheidene Mann mit dem Waldhorn oft aus dem letzten Loch.

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