Erik(a), die Ski-Weltmeisterin, wird 65

Heute würden TV-Sender aus ganz Europa ihre Ü-Wagen Richtung Kärnten schicken
über Erik(a) Schinegger
Die deutsche Presseagentur DPA widmet einer österreichischen Ski-Persönlichkeit 40 Zeilen. Das ist bei 35 Grad und der Inflation an Alpin-Champions ungewöhnlich. Außergewöhnlich wie das Schicksal von Erik Schinegger, der heute 65 wird.
Als Erik noch Erika hieß, holte der Kärntner bei der bisher einzigen Sommer-Ski-WM in Portillo die einzige Goldene für Österreich. Im Damen-Abfahrtslauf.

Das war im August 1966, als Kärnten vom Hochwasser heimgesucht wurde, während sich Restösterreich aufregte, dass die Brettlhelden im fernen Chile gar so baden gingen. Nur Karl Schranz’ junge Kneissl-Markenkollegin rettete die Ehre. Dementsprechend groß war das Tamtam bei ihrer Heimkehr.
Als noch nicht großjähriger Reporter-Lehrling durfte ich der Weltmeisterin beim Empfang am Münchner Flughafen mitteilen, dass sie vom KURIER ein Reitpferd geschenkt bekäme und ihr später im Tauerntunnel, als der Autozug das Kärntner Wappen passierte, ebenso wie Bürgermeister und Kneissl-Rennchef ein Bussel geben. Nichts ahnend, dass ...
Ärzte wussten zu diesem Zeitpunkt schon mehr. Einer von ihnen verriet mir später, dass Erika schon immer ein Erik gewesen sei. Bei der Operation mussten nur die Geschlechtsorgane nach außen gestülpt werden.
Der Eingriff erfolgte vor den olympischen Winterspielen 1968. Davor fuhr die Presse mit der (bei den Winterspielen abwesenden) Abfahrtsweltmeisterin Slalom. Selbst erfahrene Sportjournalisten wirkten überfordert. Das Thema war ihnen zu heiß. Erik litt darunter, als ihn Politiker, Funktionäre und Reporter plötzlich mieden.
Heute würden die Medien ungleich offensiver reagieren. Heute würden TV-Sender aus ganz Europa ihre Ü-Wagen Richtung Kärnten schicken. Heute würden Fotografen die Klinik belagern. Heute würden PR-Chefs Interview-Termine mit Ärzten, Trainer plus Patient(In) koordinieren. Heute würde der Boulevard mehr anstellen.
Doch heute würde es wahrscheinlich zum Fall S. gar nicht erst kommen, weil schon jedes 14-jährige Kadermitglied seriös untersucht wird und die Verantwortlichen rechtzeitig handeln statt schweigen würden.
Schinegger hingegen bekam seine zweite Chance erst dann, als es sportlich, aber zum Glück nicht privat zu spät war. Er hat die Öffentlichkeit nie gescheut, sondern sie sogar gesucht.
Schinegger wurde Vater einer Tochter, ist zum zweiten Mal verheiratet.

Die WM-Goldene von 1966 hat er zwar 1988 der in Portillo zweitplatzierten Marielle Goitschel übergeben, sie aber fünf Jahre danach wieder von der Französin zurückbekommen. Und wenn Opa Erik einmal den Enkerln erzählt, dass er es auch im Männer-Rennlauf zu Medaillen gebracht hätte, dann wäre das nicht übertrieben.
So musste der erzkonservative ÖSV seine Ex-Abfahrtsweltmeisterin sechs Jahre nach ihrer Goldfahrt an den Herren-Staatsmeisterschaften in Hinterstoder teilnehmen lassen. Gnadenlos wurde Schinegger in die letzte Startgruppe eingeteilt.
Josef Walcher siegte vor Franz Klammer und Werner Grissmann. Die drei ließen sich erst gratulieren, als Schinegger im mit Steinen übersäten Zielraum abschwang. Mit Nummer 66 war er noch unter die Top Ten gerast. Nicht nur die Jung-Piloten, sondern auch wir Jung-Redakteure waren erleichtert. Wofür mir nachträglich noch die journalistische Note fünf gebührt.
Oder war die Zeit noch nicht reif für ein Sieger-Interview mit einer vermeintlichen Frau, die bei den Herren ihren Mann steht?
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