Eine Jahrhundertsportlerin im Fokus

Mit 61 Jahren ist Österreichs Ski-Legende wieder in aller Munde – dank Lindsey Vonn.
Wolfgang Winheim

Wolfgang Winheim

Vergleiche zwischen Champions verschiedener Generationen können nie wirklich fair sein.

von Wolfgang Winheim

über Annemarie Moser-Pröll und Lindsey Vonn

So manchen Altstars, vor allem Fußballern, fällt es schwer, die Sporthelden der Gegenwart zu bewundern. Annemarie Moser-Pröll, Witwe eines einstigen Salzburger Landesliga-Schützenkönigs, hat mit dem Akzeptieren erfolgreicher Nachfolgerinnen keine Probleme. Mehr noch: Die sechsfache Gesamtweltcupsiegerin schwärmt von Lindsey Vonn, bezeichnet die Amerikanerin als Segen für den Skisport. "Mir taugt, dass sie fast schon unseren Dialekt spricht. Lindsey ist so sympathisch, und super ausschauen tut sie sowieso." Weil Vonn, wie Moser-Pröll als begeisterte TV-Ski-Zuschauerin mit Expertenblick feststellt, "vor allem in lang gezogenen Kurven eine Klasse für sich ist" wurde allgemein erwartet, dass Vonn in Bad Kleinkirchheim ihr 62. Weltcupsieg gelingt und sie damit in der ewigen Wertung mit Moser-Pröll gleichzieht. Samstag verhinderte dies noch Orkan "Felix", im heutigen Super-G wird Moser-Prölls 36 Jahre jüngere Salzburger Landsfrau Anna Fenninger versuchen, Miss Vonn zu stoppen.

Gewürdigt

Vorsorglich lud der ORF die von seinen Sehern zu Österreichs Jahrhundertsportlerin gewählte Moser-Pröll nach Bad Kleinkirchheim ein. Und die Mailänder Gazzetta dello Sport, die über eine höhere Druckauflage verfügt als Italiens politische Tageszeitungen, hat die Österreicherin aktuell groß gewürdigt.

Mit Italien verbinden die 61-Jährige besondere Erinnerungen. In Abetone hatte sie im März 1971 ihren ersten Gesamtweltcupsieg gefeiert – und ich bei meinem ersten Ski-Einsatz eine journalistische Schlappe erlebt. Nicht eine einzige Wortspende bekam ich von der Siegerin. Denn der legendäre Reporterprofi Heinz Prüller, der damals nicht nur in der Formel 1 Vollgas gab, hatte Annemaries Skier geschnappt, sie samt der Siegerin ins Hotel mitgenommen und sie dort solang für Radio und Express interviewt, bis die Redaktionsschlusszeiten von KURIER und Krone abgelaufen waren.

Im Herbst 1975 bescherte mir die Salzburgerin den nächsten Tiefschlag, als sie versicherte, dass sie vor Heim-Olympia ihre Karriere stoppen und nicht in Innsbruck starten werde. Der damalige Chefredakteur glaubte die Story nicht, die daraufhin nicht gedruckt wurde.

Atemlos

Moser-Pröll aber hielt Wort und fehlte in Innsbruck. Wobei ich zugegeben die wahren Hintergründe für den Karrierestopp (anonyme Morddrohung plus das Krebsleiden ihres Vaters) erst Jahre später erfuhr. Immerhin zählte die Augenzeugenrolle bei ihrem Comeback am 15. 12. 1976 in Cortina zu den Jungreporter-Highlights, als sie zu schnell (und noch zu konditionsschwach) zum Bremsen war. Erst in einem Jungwald kam sie zum Stehen – genauer: zum Liegen. Minutenlang rang sie nach Luft. Mir blieb sie vor Staunen weg. Bestzeit. Einen abgesperrten Zielraum gab es damals in Cortina nicht – heute undenkbar, wie so vieles andere. Befragt nach den größten Unterschieden, zählt sie auf:

Das Material

"Ich bild’ mir ein, dass ich mit den heutigen Skiern viel besser fahr. Wir haben uns einst mehr plagen müssen."

Die Medien

"Oft sind wir mit Journalisten Essen gegangen. Ich konnte frei weg reden, weil ich wusste, dass am nächsten Tag net alles in der Zeitung steht. Wir waren wir eine Familie."

Die Sicherheit

"Oft sind Läufer in den Wald abgeflogen. Und irgendwo zwischen den Bäumen wieder hochgekraxelt. Fangnetze kannten wir nicht. Andererseits bekomm’ ich heute die Gänsehaut, wenn jemand ins Fangnetz fliegt. Ich denk’ mir, das muss verdammt weh tun."

Der Rennkalender

"Wir hatten im ganzen Winter nur sechs Slaloms. So viele haben die Madln jetzt schon Anfang Jänner in den Beinen."

Weniger Rennen, kein Kunstschnee, kein Super-G. Umso beeindruckender, dass Moser-Pröll nur 239 Starts benötigte, um sechs Mal den Gesamtweltcup zu gewinnen. Ein Rekord, dem Vonn (bislang vier Gesamtweltcup-Siege) noch einige Zeit nachfahren wird, obwohl sie es bereits auf 337 Renneinsätze brachte. Ein Hinweis, der ihre Leistungen nicht schmälern soll. Vergleiche zwischen Champions verschiedener Generationen können nie wirklich fair sein.

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