Meine 100 Euro auf Österreichs Titel

Paul Scharner

Paul Scharner

Es ist wieder einmal Zeit für einen Überraschungssieger!

von Paul Scharner

über den EM-Druck

Wie viel Einfluss hat der Druck auf die Leistung? Diese Frage wurde im Eröffnungsspiel eindeutig beantwortet: einen sehr großen! Diese sicherlich sehr talentierte und hoch qualifizierte französische Mannschaft konnte mit der schwierigen Situation des Erstauftritts im eigenen Land kaum umgehen. Alle wirkten gehemmt. Bis auf einen.

Dimitri Payet machte sich von allen Zwängen und Bedenken frei, spielte groß auf und erlöste Frankreich.

Diese Druck-Frage wird sogar die klassische Turniermannschaft Deutschland begleiten. Denn der Weltmeister hat sein Team radikal verjüngt. Sogar den jüngsten Kader des Turniers schickt Joachim Löw ins Rennen. Das kann gut gehen, hinterlässt bei mir aber Zweifel, dass alle dem Druck standhalten werden.

Die Schlachtrösser

Es zeigt sich in großen Turnieren oft: Du musst schon einige große Schlachten geschlagen haben, um deine Favoritenrolle dann auch mental umsetzen zu können. Das wirkte bei den Spaniern, damals nach den Titeln bei der EURO 2008 und der WM 2010, anders, logischer und selbstverständlicher als jetzt bei den von Verletzungssorgen begleiteten Deutschen. Nur wenn Manuel Neuer, der Kopf und Macher der Weltmeistermannschaft, wie in Brasilien seine Vorderleute massiv pushen kann, ist Deutschland für mich ein Titelkandidat. Neuer strahlte diesen unbedingten Willen aus, den ich auch bei Dimitri Payet gesehen habe.

Ich bin der Meinung: Es ist wieder Zeit für einen EM-Überraschungssieger! So wie England, wie ich in der letzten Kolumne erklärt habe. So wie Belgien, wenn sich nicht dauernd Verteidiger verletzten würden.

Oder so wie Österreich. Ich habe 100 Euro auf den Titel der Mannschaft von Marcel Koller gesetzt und kann mir diese Sensation wirklich vorstellen.

Sie werden jetzt einwenden, dass in diesen erwähnten Mannschaften auch nicht so viele Spieler stehen, die große Schlachten geschlagen haben. Ja, aber ein Underdog kann ein Turnier auch über die Euphorie-Schiene gewinnen. Wenn du als Außenseiter einen Lauf startest und irgendwann nicht mehr an die riesige Bühne denkst. Wenn du von Erfolg zu Erfolg eilst und die fehlende Erfahrung sogar zum Vorteil wird: Weil du gar nicht mehr an den Druck denken kannst, sondern nur noch dein Selbstvertrauen spürst.

paul.scharner@kurier.at

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