"Wir halten uns an die Deutschen"

Daniela Kittner
Wie viel Risiko kann die Regierung für Österreich eingehen? Wann ist Schluss? Deutschland dient meist als Orientierung.
Daniela Kittner

Daniela Kittner

An den Schaltstellen von Politik und Wirtschaft herrscht Alarmstimmung. Mit Spanien hat sich die Eurokrise entscheidend verschärft, vom US-Präsidenten abwärts warnen immer mehr Politiker und Fachleute vor einem Kollaps der Eurozone. Auch heimische Entscheidungsträger sind besorgt und verunsichert. Anmerken lässt sich das keiner, denn das wäre wenig vertrauenerweckend. Der KURIER blickte dennoch hinter die Kulissen des heimischen Krisenmanagements.

Die Eurokrise frisst inzwischen den Großteil der politischen Energien. Viel Zeit geht allein für Informationsbeschaffung drauf, um den Überblick über die vielen Schauplätze nicht zu verlieren. Die wichtigsten Info-Kanäle sind: die Botschaft in Brüssel bzw. das Außenamt; das Finanzministerium als Teil des Rats der EU-Finanzminister, wo alle Finanzinformationen zusammenlaufen; bilaterale Kontakte zu anderen EU-Ländern, in allererster Linie zwischen dem Wiener und dem Berliner Kanzleramt. Hinter den Kulissen versorgt EU-Kommissar Gio Hahn die Regierung immer wieder mit den heißesten News aus Brüssel. Von Bedeutung sind die jeweiligen Parteikontakte. Die Verbindungen zwischen ÖVP und CDU/CSU sind traditionell eng, mit dem Sieg der Sozialisten in Frankreich tat sich auch für die SPÖ ein familiärer Zugang auf. Damit ist die SPÖ-ÖVP-Regierung mit beiden entscheidenden Euroländern gut vernetzt.

Im Regierungsalltag ist Europa bestimmendes Thema in allen Sitzungen. Ob im Ministerrat oder im kleinen Kreis zwischen Kanzler Werner Faymann und Vizekanzler Michael Spindelegger – es dreht sich immer um das Eine. Auch parteiinterne Sitzungen werden vom Euro dominiert. Im SPÖ-Präsidium, im Vorstand, im Parlamentsklub – stets referiert Faymann als Erstes und am ausführlichsten über Europa. Ein SPÖ-Präsidiumsmitglied hat dafür eine menschliche Erklärung: "Ich glaube, die riesige Verantwortung, die damit verbunden ist, beschäftigt Faymann schwer."

Die Beobachtung scheint stimmig. Immerhin muss die Regierung mit Summen hantieren, bei denen es einem schon mulmig werden kann: Haftungen in der Größe eines Drittels des Bundesbudgets; ein Ausfallsrisiko in Griechenland in Höhe der Bildungsausgaben eines Jahres; und kein Ende in Sicht: Kaum ist ein Rettungsschirm aufgespannt, regnet’s an anderer Stelle schon wieder herein.

Orientierung

"Wir halten uns an die Deutschen"

Wie viel Risiko kann die Regierung für Österreich eingehen? Wann ist Schluss? Woran orientieren sich Faymann, Spindelegger und Co? "Im Grunde halten wir uns an die Deutschen": So lautet die einhellige Antwort in SPÖ, ÖVP und von Top-Ökonomen.

Nein, das ist keine Selbstaufgabe. Diese Haltung ist wegen der starken ökonomischen Verflechtung Österreichs mit Deutschland (dorthin geht der überwiegende Teil unserer Exporte) wohl begründet und hat überdies lange Tradition. Sie geht auf Hannes Androschs Hartwährungspolitik in den 1970er-Jahren zurück. Er koppelte damals den Schilling an die D-Mark. Als die Deutschen später den Euro nahmen, nahmen wir ihn auch. Und wir würden wohl auch aussteigen, falls die Deutschen ausstiegen.

Tatsächlich wurde in Deutschland in den letzten Wochen ein Ausstieg aus der Eurozone durchgespielt. Man berechnete, wie sich eine kleine, feine Währungszone von Finanz-stabilen EU-Ländern volkswirtschaftlich auswirken würde. Als sich die deutschen Planspiele nach Wien durchsprachen, brach Nervenflattern aus. "Die Deutschen steigen aus", hieß es alarmiert.

Doch die deutschen Experten verwarfen die Variante Kleinwährungszone. Der Grund: Die neue Währung würde durch den Plafond knallen. Man müsste mit 40 Prozent Aufwertung rechnen. Das würde extremen Produktivitätsverlust in Deutschland bedeuten, steigende Arbeitslosigkeit und ein Abwandern ausgerechnet der unentbehrlichen deutschen Industrie. Solche Verwerfungen auszubügeln, würde eine Generation dauern. Ein heimischer Experte sagt, in Österreich gebe es einen echten Testfall: "Kärnten wurde de facto industriefrei, weil Italien damals die Lira in zwei Wellen um 30 % abwertete."

Daher: Festhalten an der Eurozone. Die deutschen Experten sagen, das werde zwar teuer, aber bereits in drei bis fünf Jahren wären nachhaltig-strukturelle Besserungen zu erwarten.

Also gab Kanzlerin Angela Merkel in der vergangenen Woche die nächsten Stationen vor: Bankenunion, Schuldentilgungsfonds, Fiskalunion, politische Union, Europa der zwei Geschwindigkeiten.

Auf den Fuß folgte die Ankündigung Faymanns und Spindeleggers: "Wir sind dabei." Was steckt hinter diesen Schlagwörtern?

Fiskalunion

Derzeit halten wir auf der Ebene Fiskalpakt – eine Vereinbarung von selbstständigen Staaten. Das letzte Wort beim Budget hat der Nationalrat. In einer Fiskalunion hat das letzte Wort ein EU-Finanzminister. Dieses Durchgriffsrecht könnte zum Beispiel so ausgestaltet sein, dass ein EU-Finanzminister ein Vetorecht gegen budgetgefährdende Maßnahmen erhält.

Bankenunion heißt: Europäische Bankenaufsicht; gemeinsame Haftung für alle Spareinlagen; Fonds zur Schließung von Banken.

Ein Schuldentilgungsfonds oder Eurobonds sind zwei Varianten desselben Prinzips: gemeinsame Haftung für Staatsschulden.

Die "politische Union" in einem "Europa der zwei Geschwindigkeiten" heißt: Die 17 Euroländer entwickeln sich in Richtung eines föderalen Gebildes. Das große Problem dabei: Die EU-Verträge und die EU-Institutionen wie Parlament und Kommission sind nicht Sache von 17, sondern von 27 EU-Ländern. Wie man das politisch und rechtlich auf die Reihe kriegt, ist ein großes Rätsel. Merkel hat für den Gipfel im Juni einen Fahrplan dorthin in Aussicht gestellt.

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