Kanzler warnt ÖVP vor kleinkariertem Taktieren
Es wurde sogar geargwöhnt, die ÖVP bereite einen Absprung in vorzeitige Wahlen vor
Freitag Abend im Hauptquartier der Voestalpine in Linz. Zum ersten Mal in seiner nunmehr vierjährigen Kanzlerschaft besucht Werner Faymann Österreichs Parade-Industriebetrieb, wo das Herz der SPÖ-Basis schlägt. Der Arbeiterbetriebsrat hat Faymann eingeladen, eine Nachtschicht mitzumachen. Etwas nachgeholfen hat wohl auch die SPÖ-Oberösterreich. „Es ist Wahlkampf. Da schadet es nicht, wenn der Vorsitzende der Arbeiterpartei zu den Arbeitern geht“, bemerkt Josef Ackerl, Chef der Landes-SPÖ, spitz. Ab 1. März ist sowieso Schluss mit den Politiker-Besuchen: Um im Wahlkampf nicht ständig von Politikern mit Medienanhang heimgesucht zu werden, verhängt die Voest ein halbes Jahr vor der Nationalratswahl eine Besuchssperre.
Vor Beginn der Tour durch die riesige Industrieanlage konferiert Faymann mit Vorstandschef Wolfgang Eder hinter verschlossenen Türen. Faymann lässt sich erklären, warum die Voest 100 Millionen Euro im Ausland investiert, davon 50 Millionen in den USA. Für Eder ein willkommener Anlass, bei einem Spitzenpolitiker die industriefeindliche Stimmung in Europa anzuprangern. Der Auflagen sind zu viele, die Verfahrensdauer zu lange, die Energiepreise viel zu hoch: Gas kostet in Europa drei bis vier Mal so viel wie in den USA, Strom ist immerhin um ein Drittel teurer. Die in Österreich besonders hohe CO2-Abgabe führt zu teils absurden Auswirkungen: Die Voest wollte am Erzberg Erzpellets zur Eisengewinnung herstellen. 180 Arbeitsplätze wären entstanden. Doch wegen der hohen CO2-Abgaben ließ man die Investition bleiben – mit dem umweltpolitisch fragwürdigen Ergebnis, dass die Erzpellets nun aus Brasilien und Südafrika herbeigeschafft werden, erzählt Voest-Sprecher Gerhard Kürner.
In den USA, die massiv auf Re-Industrialisierung setzt, kann die Voest um 30 Prozent billiger produzieren als in Österreich. Wobei die Löhne das geringere Problem sind: Die Lohnkosten machen nur mehr 16 Prozent aus. „Effizienter geht es nicht, da ist nicht mehr viel drinnen“, sagt Kürner.
Einig sind sich Eder und Faymann, dass Europa eine „offensivere Industriepolitik“ mit Investitionen in Forschung, Entwicklung und in die Facharbeiterausbildung braucht.
Der Industrie-Standort Europa ist auch das Hauptthema Faymanns mit den Nacht-Schichtarbeitern. Des Kanzlers Tour beginnt um 22 Uhr: Die Schmelze von Roheisen beim Hochofen, das Vergießen flüssigen Stahls in der Brammenstraße, die Weiterverarbeitung der Bramme durch Warmwalzen. Faymanns letzte Station gegen drei Uhr Früh sind das Kaltwalzwerk und die Feuerverzinkung. Die Voestalpine ist inzwischen einer der wichtigsten Zulieferer für die europäische Autoindustrie. „75 Prozent des Handels finden innerhalb der EU statt“, sagt Faymann.
Damit ist das Stichwort gefallen. EU. Der aktuelle Zankapfel in der Innenpolitik.
Seit Tagen kritisiert die ÖVP Faymanns Verhandlungsergebnis für den EU-Finanzrahmen 2014 bis 2020. Zuletzt hatte Vizekanzler Michael Spindelegger in einem KURIER-Interview den Kanzler abgekanzelt: „Wer sich zu vorschnellen Kompromissen hinreißen lässt, ist kein großer Europäer, sondern ein Verlierer am Verhandlungstisch.“
„Das ist purer Wahlkampf der ÖVP“, sagt Faymann am Rande des Voestbesuchs zum KURIER. „Sachargumente sind das jedenfalls nicht. Denn schon meine zehnjährige Tochter versteht, dass 0,31 Prozent (des BIP, Anm.) weniger sind als 0,33 Prozent.“
Allein die Bedeutung des Exports in die EU durch die Voest zeige, wie wichtig es sei, „die EU zu stabilisieren, anstatt kleinkariert zu taktieren“, warnt Faymann die ÖVP.
Am Dienstag steht eine Sondersitzung des Nationalrats zum EU-Finanzrahmen bevor. Faymann kündigt an, dass er mit Spindelegger, der letzte Woche in Afghanistan war, am Montag eine „Aussprache“ haben werde. Faymann: „Ich erwarte mir, dass der Vizekanzler und die ÖVP am Dienstag im Parlament zu dem Verhandlungsergebnis stehen.“
Ende letzter Woche hatten die ÖVP-Angriffe auf den Kanzler zu massiven Irritationen in der SPÖ geführt. Es wurde sogar geargwöhnt, die ÖVP bereite einen Absprung in vorzeitige Nationalratswahlen nach ihrem zu erwartenden Erfolg in Niederösterreich am 3. März vor. „Bei uns ist die Grenze erreicht“, hieß es grollend in der sozialdemokratischen Regierungsfraktion.
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