Finanz-Kompetenz: ÖVP droht Aderlass
Ich schreibe schon an meiner Abschiedsrede": Mit diesen Worten kündigte der ÖVP-Abgeordnete Ferry Maier im Radio-Kulturhaussein Ausscheiden aus dem Parlament an. Er hatte seinen Rückzug länger geplant. "Ich wollte im Herbst in den EU-Wirtschafts- und Sozialausschuss einziehen", sagt Maier zum KURIER. Zerwürfnisse mit ÖVP-Klubobmann Karlheinz Kopf hätten ihn aber bewogen, nun schon im Mai zu gehen.
Jüngste Eskalation in dem Konflikt: Kopf hatte Maier eine Parlamentsrede verwehrt. Maier wollte im Plenum begründen, warum er 33 Milliarden neue Schulden für den Bahnausbau für unverantwortlich hält. "Dass diese neuen Schulden, die größer sind als das 26-Milliarden-Sparpaket, ohne eingehende Diskussion durchgedrückt wurden, sehe ich auch kritisch", sagt ÖVP-Verkehrssprecher Martin Bartenstein. Auch andere Wirtschaftsbund-Abgeordnete wie Michael Ikrath, Katharina Cortolezis-Schlager und Günter Stummvoll teilen die Kritik an der Blanko-Vollmacht für Doris Bures, neue Schulden aufnehmen zu dürfen ohne zu prüfen, ob man die Tunnel unter Koralm und Semmering günstiger bauen kann bzw. ob man den Brenner braucht.
Ausdrücklich nicht geteilt wird von den Abgeordneten Maiers Kritik an Kopf ("Er ist überfordert"). Bartenstein: "Kopf hat im Klub viel Rückhalt." Auch Ikrath stößt sich nicht an Kopf, sondern an der Regierung. Deren Umgang mit den Abgeordneten sei "erschreckend", die Anordnung, der Nationalrat habe sich auf 165 Abgeordnete zu verkleinern, sei "von der Gewaltenteilung her ein Übergriff". Wie Cortolezis im Sonntag-KURIER kritisiert auch Ikrath, dass sensible Demokratiethemen wie Parlamentsgröße und Wahlrecht mit den ÖVP-Abgeordneten "entweder gar nicht oder nicht ehrlich" diskutiert werden. Ikrath: "Man lässt uns am Ende nur die Wahl, entweder Ja oder Ja zu sagen. Wenn dann einer Nein sagen will, wird er zum Täter gestempelt, zu einem, der die Geschlossenheit der Partei gefährdet." Maiers Abgang ist für Ikrath Ausdruck einer Entwicklung, wonach die ÖVP kritikfähige Abgeordnete mit eigener Meinung als "Störfaktoren" betrachtet. Wie das mit dem Wunsch nach einem Persönlichkeitswahlrecht zusammenpasse, sei schleierhaft. Ikrath überlegt ebenfalls, aufzuhören: "Ich werde im Sommer nachdenken, ob ich noch einmal kandidiere."
Da auch ÖVP-Finanzsprecher Günter Stummvoll ausscheiden will, droht der Wirtschaftspartei ÖVP ein Aderlass in Finanz-Kompetenz. Maier und Ikrath arbeiten im Finanzsektor (Raiffeisen und Sparkassen). Was Ikrath noch stört: "Unser Fachwissen und unsere Berufserfahrung werden geringgeschätzt, wir werden zunehmend zu Lobbyisten gestempelt."
Übrigens: Sollte Kopf Maier wieder nicht reden lassen, wird er seine Abschiedsrede in der Säulenhalle vortragen.
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