Die Industrie bekommt eine liberale Stimme
Am 21. Juni wird der 120-köpfige Vorstand der Industriellenvereinigung einen neuen Präsidenten wählen. Veit Sorger , der zeitgleich seinen 70. Geburtstag feiert, tritt nach zwei Perioden an der Spitze der Industriellenvereinigung ab. Als sein Nachfolger ist Georg Kapsch, Vorstandsvorsitzender und Miteigentümer der Kapsch AG, designiert.
Die Industriellenvereinigung ist ein bedeutender Faktor. Ihre 3500 Mitglieder sind die Bosse von annähernd zwei Dritteln der heimischen Arbeitnehmer. Die von ihnen geleiteten Unternehmen generieren fast 60 Prozent der österreichischen Wertschöpfung, die exportorientierte Industrie ist außerdem eine wesentliche Konjunkturstütze.
Aufgrund der volkswirtschaftlichen Bedeutung ihrer Mitglieder ist die Industriellenvereinigung ein wichtiger Meinungsbildner in allen ökonomischen Belangen: Steuern und Abgaben, öffentliche Haushaltspolitik, Bildung, Europakurs und nicht zuletzt auch bei bürokratischen Auflagen für die Wirtschaft (etwa Umweltgesetze). Und diese Stimme der Industrie wird in den nächsten vier Jahren Georg Kapsch sein.
Der 52-Jährige entstammt einer traditionsreichen österreichischen Unternehmerfamilie. Die "Telefon- und Telegrafenfabriks-Aktiengesellschaft" wurde 1892 gegründet. 1986 stieg die Firma, bereits unter der Leitung von Georg Kapsch, aus der Unterhaltungselektronik aus. Der Name Kapsch war über lange Zeit so untrennbar mit Radio und Fernsehen verbunden gewesen, dass die Leute noch zehn Jahre später bei Kapsch anriefen und einen Fernseher kaufen wollten.
Heute macht die Firma ihr Geschäft mit Informations- und Kommunikationstechnologie sowie mit Straßenmautsystemen. 1800 Beschäftigte arbeiten in Österreich für den Konzern, weltweit sind es insgesamt 4000. Das Privatvermögen der Familie Kapsch wird auf mehr als 100 Millionen Euro geschätzt. Zu den Familienhobbys gehören ein Pferdegestüt, Jagen, Segeln und Kunstsammeln.
Die Industriellenvereinigung ist ein freiwilliger Verband und politisch unabhängig. Selbst Bruno Kreisky hatte ihren Sitz, den Schwarzenbergplatz, als "neutralen Boden" bezeichnet. Dessen ungeachtet betrachtet die ÖVP "die IV" als zu ihrer Reichshälfte gehörig.
Insofern ist die Wahl von Georg Kapsch ein Novum: Er wird der erste Industrie-Präsident, der deklariertermaßen ein Liberaler ist. Kapsch hat in den 90er-Jahren für das Liberale Forum Heide Schmidt s kandidiert. "Ich bin nicht nur wirtschaftsliberal, sondern überhaupt liberal", wird er zitiert. Mitunter bezeichnet er sich auch als "sozialliberal".
Einmal bekannte er, dass er gesellschaftspolitisch eher von Kreisky angesprochen war, wirtschaftspolitisch eher von dem damaligen ÖVP-Chef Josef Taus . "Nationalismus und Engstirnigkeit" findet der "glühende Europäer" "unerträglich".
Als Präsident der Wiener Industriellenvereinigung galt Georg Kapschs politisches Hauptaugenmerk in den letzten Jahren der Bildung, Lehrlingsausbildung und dem offenen Zuzug. Damit befindet er sich voll auf dem bisherigen IV-Kurs unter Veit Sorger.
Auch dieser unterstützte das Bildungsvolksbegehren und kritisierte den restriktiven Umgang mit arbeitswilligen Ausländern durch diverse (schwarze) Innenminister. "Insofern wird sich am Kurs der Industriellenvereinigung durch den Präsidentenwechsel nicht viel ändern", meint ein Insider. Schließlich sei die IV "auch bisher schon nicht immer einer Meinung mit der ÖVP gewesen".
Um die Nachfolge von Georg Kapsch an der Spitze der Wiener Industriellenvereinigung ist ein Tauziehen im Gang. Dem Vernehmen nach wollte Kapsch, dass ihm sein bisheriger Vizepräsident Christian Pochtler (Schlagobers-Patronen) nachfolgt. Doch auch Siemens-Boss Wolfgang Hesoun werden gute Chancen eingeräumt. Hesoun gilt als SPÖ-nahe.
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