Die Grünen in der Bürgerfalle
Am Sonntag endet in Graz eine mehrwöchige Bürgerbefragung über die Einführung einer Umweltzone. Möglich wurde die Bürgerbefragung erst, indem ÖVP-Bürgermeister Siegfried Nagl seinem grünen Koalitionspartner den Sessel vor die Tür stellte. Die Grünen wollten die Bürgerbefragung verschleppen – daraufhin kündigte ihnen die ÖVP die Koalition und setzte mit der SPÖ die Befragung an.
Szenenwechsel zu Rot-Grün in Wien. Hier forcieren die Grünen ein Zurückdrängen des Autoverkehrs. Gleichzeitig stemmen sie sich gegen eine Bürgerbefragung über die Ausweitung des Parkpickerls. Die Stimmung in Wien ist gereizt und die rot-grüne Koalition belastet. SPÖ-Bürgermeister Michael Häupl muss die Notbremse ziehen. Am kommenden Dienstag will er einen Ausweg aus der verfahrenen Situation verkünden – Bürgerbeteiligung inklusive.
In der Nacht auf Dienstag fallen auch in Graz die Würfel. Da wird feststehen, ob die Grazer die Umweltzone – ein partielles Fahrverbot für Dieselautos – haben wollen.
Zwei Städte, zwei Mal die gleichen Kalamitäten. Was läuft schief, wenn Grüne regieren? "Sie machen Politik für den grünen Rand und nicht für die rot-grüne Mitte der Gesellschaft", sagt ein prominenter Wiener Sozialdemokrat. Die Öko-Aktivisten-Basis der Grünen "verselbstständigt sich gegen die Mehrheit der Bevölkerung" und bringt die Regierungspartner der Grünen ins Dilemma. Logisch: Bürgermeister-Parteien wie die ÖVP in Graz oder die SPÖ in Wien müssen die Mehrheit der Bevölkerung im Auge haben, wollen sie nicht abgewählt werden. Ein Wiener SPÖler: "Auf Dauer wird es zur Belastung, wenn die SPÖ die grüne Verkehrspolitik ständig mittragen muss."
Abgesehen von den Polit-Troubles führt der grüne Fokus aufs Fahrrad oft auch sachlich auf Abwege. Beispiel Währinger Straße: Die Grünen wollten einen Fahrradstreifen. Dafür sollten Parkplätze weg. Die Wohnbevölkerung wollte jedoch ihre Parkplätze behalten. Also kam man auf die abstruse Idee, der Straßenbahn den eigenen Gleiskörper wegzunehmen und die Bim in den Auto-Stau zu schicken – und das auf der meistgenutzten Straßenbahn-Strecke Wiens.
Auch das grüne Prestige-Projekt, die Preissenkung bei der Jahreskarte, war ein Anschlag auf den öffentlichen Verkehr. Die Stadt muss mit Steuergeld den Einnahmen-entfall auffangen, sonst können die Verkehrsbetriebe die Qualität der Öffis nicht aufrechterhalten. "Dabei ist die Qualität der Öffis der Hauptgrund dafür, auf das Auto zu verzichten, das belegt jede Studie", sagt SPÖ-Wien-Verkehrssprecher Karlheinz Hora . Im Gegensatz zu den Grünen setze die SPÖ-Wien auf möglichst große Mobilität in der jeweils sinnvollen Form. Hora: "Das kann auch das Auto oder das Fahrrad sein, muss es aber nicht."
Mangelnde politische Breite der Grünen war offenbar auch der Kern des Zerwürfnisses in Graz. "Die ÖVP steht für klassisches Wachstum", wirft Grünen-Chefin Lisa Rücker ihrem Ex-Koalitionspartner vor. Ein Vorhalt, der aus Sicht einer Grün-Aktivistin verständlich sein mag –, aber die Mehrheit der Bevölkerung würde Wachstumspolitik wohl eher als Tugend betrachten, insbesondere, wenn es sich bei dem vermeintlichen Delinquenten um eine Wirtschaftspartei handelt.
Während man in der Wiener SPÖ darauf hofft, dass der Wechsel von Alexander Van der Bellen ins Rathaus Beruhigung in die rot-grüne Koalition bringt, hat man in Graz mit den Grünen abgeschlossen. Nagl schickt sich an, nach der Wahl im kommenden Jänner mit der SPÖ eine Koalition zu machen.
Das Aufwärmtraining für Schwarz-Rot läuft schon: Für die Bürgerbefragung haben die beiden Parteien in einer gemeinsamen Broschüre geworben: Die ÖVP schrieb die Pro-Argumente für die Umweltzone, die SPÖ die Kontra-Argumente (sie setzt auf ein Bündel von Luftreinhaltemaßnahmen wie thermische Sanierung). "Von den 230.000 stimmberechtigten Grazern haben etwa 60.000 an der Befragung teilgenommen", sagt der Grazer SPÖ-Politiker Karl-Heinz Herper. Damit gilt die Abstimmung. Herper: "SPÖ und ÖVP haben paktiert: Wie immer die Grazer abstimmen, wir setzen das Ergebnis um."
Ruhig und erfolgreich arbeitet die schwarz-grüne Koalition in Oberösterreich schon in ihrer zweiten Legislaturperiode. Dabei gäbe es dort für die Ökos genug zu streiten, ist doch Oberösterreich der Hort der Großindustrie. "Grünen-Chef Rudolf Anschober vermeidet es sehr geschickt, die Arbeitnehmer in der Großindustrie gegen sich aufzubringen", lobt der ÖVP-Politiker Helmut Kukacka. Beim Umstieg auf Öko-Energie sind ÖVP und Grüne ohnehin einer Meinung. Und die Öko-Aktivisten? Sie werden in OÖ mit dem Anti-AKW-Kampf beschäftigt. Und Temelin liegt praktischerweise jenseits der Grenze.
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