Fleisch und Blut

Julia Pfligl

Wie man freiwillig auf Fleisch, Wurst und Speck verzichten konnte, war ihm, dem Bauernbub, bis zuletzt unerklärlich.

von Julia Pfligl

über Vegetarier & Großväter

5,6 Prozent der Österreicher sind Vegetarier, meldete ein Marktforschungsinstitut vergangene Woche – das mag nicht überragend klingen, in Wien sieht die Veggie-Welt aber schon anders aus: Knapp jeder dritte Fleischverweigerer lebt in der Hauptstadt, unter jungen Frauen mit Matura oder Hochschulabschluss ist der Anteil besonders hoch.

Sofort musste ich an meinen Großvater denken, der angesichts dieser Ergebnisse sicherlich den Kopf geschüttelt hätte. Für ihn, aufgewachsen in den 1930er-Jahren auf dem Land, gab es kaum etwas Schlimmeres, als dass zwei seiner geliebten Enkelinnen vegetarisch lebten. Wie man freiwillig auf Fleisch, Wurst und Speck verzichten konnte, war ihm, dem Bauernbub, bis zuletzt unerklärlich. Als ich zum ersten Mal die Familie meines damaligen Freundes besuchte, konnte Opa nächtelang nicht schlafen: Würden sie mich – sein eigen Fleisch (!) und Blut – als künftige Schwiegertochter akzeptieren, obwohl ich das Sonntagsschnitzel stehen lasse? Welches Licht wirft meine extravagante Ernährung auf ihn, das Clan-Oberhaupt?

Nun ja, die Beziehung scheiterte. Und während der Rest der Familie über mögliche Gründe rätselte, war die Sache für Opa klar: "Hätt’ sie ihm öfter ein Bratl gekocht", raunte er Oma nach der Trennung zu, "dann wär’ er auch nicht davong’laufen."

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