Der Kanal im Fluss

Uwe Mauch

Uwe Mauch

Es war einmal eine Zeit, da gab es am Donaukanal keine Adria. Auch die anderen Strandbars waren noch nicht erfunden. Es war die Zeit meiner Kindheit. Wien war so grau wie der Mantel von der Oma. Und der Mantel war so grau wie ihre Haare, die Gehsteige in der Brigittenau und auf dem Alsergrund, ihr Promenadenmischungshund „Dschibi“ und die zum Suizid einladenden Lieder von Ludwig Hirsch.

Wenn die Oma spazieren gehen wollte, dann gab es für den „Dschibi“, für meinen Bruder und für mich nur zwei Optionen: den nach Nazi-Zeit anmutenden Augarten oder den ebenfalls trostlosen Kanäu, wie der Donaukanal von der Oma leicht abschätzig genannt wurde. Lustig war es dort für uns Kinder nie: das Kanal-Wasser roch verdächtig nach Sammel-Kanal, und auch die Wiesen, in denen sich der „Dschibi“ und seine Kollegen allerfreudigst entleerten, luden nicht zum Betreten ein.

Irgendwie habe ich jene Zeit überlebt, irgendwann fielen ja in Europa die eisernen Vorhänge, und das Grau bekam ein wenig Farbe. Auch das Leben am Kanal kam in Gang, ist heute im Fluss, wie man so schön sagt. Gut, es ist auch hier nicht alles super, ich hoffe zum Beispiel, dass der Kanal nicht weiter zuprivatisiert wird und für alle offen bleibt. Aber ganz ehrlich, so ein grauer Ausflug mit dem „Dschibi“, nein!, früher war nicht alles besser.

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