Ritual

Guido Tartarotti

Guido Tartarotti

Als ich ein Kind war, war die Welt im Fernsehen noch schwarz-weiß, und die Erwachsenen erzählten, dass man früher zum Fernsehen ins Wirtshaus oder ins Kaufhaus ging. Zu sehen gab es FS1 und manchmal, wenn die Windrichtung stimmte, FS2.

Ich habe Fernsehen noch als Ritual erlernt: Um 19.00 Uhr ist Abendessen, denn um 19.30 Uhr ist „Zeit im Bild“ (man sagte tatsächlich „Zeit im Bild“, nicht „ZIB“). Am Montag kam Sigi Bergmann, am Dienstag war „Dallas“, am Donnerstag „Dalli-Dalli“. Eine neue „Kottan“-Folge war ein Ereignis, die wirklich Coolen riefen einander am nächsten Tag mit der Kennermiene der Eingeweihten Zitate daraus auf dem Schulhof zu. Die Berichte über Fußball beschränkten sich auf eine 30-minütige Zusammenfassung der Runde am Samstag um 18.00 Uhr, wo Reporter mit emotionsloser Stimme Dinge sagten wie „... da gibt es Eckball, wir schreiben die 37. Minute, Gernot Jurtin per Kopf, das ist das Eins-zu-Null für Sturm Durisol.“ (Immer, wenn sie die Spielminute dazusagten, kam ein Tor.)

Ich kann einfach nicht Netflix schauen. Ich habe es probiert, es geht nicht. Ich brauche eine fixe Verabredung mit dem Fernsehen, sonst drehe ich nicht auf. „Was gibt es Neues?“ und „Columbo“ am Freitag, Football auf Puls4 am Sonntag, Grissemann und Stermann am Dienstag (und anschließend lustvoll ärgern über „Reiseckers Reisen“). Am Samstag, wenn man Glück hat, Ina Müller in der ARD.

Meine Kinder sagen mir übrigens, Netflix ist schon out. Sie finden, was sie sehen wollen, gratis im Internet.

Guido Tartarottis neues Kabarettprogramm "Selbstbetrug für Fortgeschrittene" ist am 18. November, am 20. Dezember und am 20. Jänner im Theater am Alsergrund zu sehen.

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