Kriechender Abschied

Anstoß: Gipfeltreffen
Fahrtenbuch: Wieder überschreitet man die Grenze. Weg aus der Ukraine. Schade eigentlich.
Bernhard Hanisch

Bernhard Hanisch

Halt. Der Mann stellt sich breitbeinig vor das Auto, nimmt das Nummernschild ins Visier und notiert. Grenzgang von der Ukraine nach Polen. Es beginnt der Zustand einer gewissen Ungewissheit. Vergleichbar mit dem Vorgang des Einfädelns in eine Waschstraße.

Geduld ist gefragt, einsetzendes Kribbeln, ob die Situation ohne Zwischenfall bereinigt wird. Oder, ob der mit dem Bürstenhaarschnitt anklopft und mehr erbittet als die herkömmliche Behandlung. Auf der Kriechspur schleicht man aus der Ukraine. Aus einem Land, das immer für eine Überraschung gut war, eine Unbekannte, die ihre Besucher mit Gegensätzen zu verwöhnen versteht.

Gedankenfetzen. Soeben hat man im Hotel von Lwiw beim Packen noch ungläubig auf den Fernseher gestarrt. Eine Castingshow. In rosa Rüschenkleidchen geschnürte Mädchen krächzten um die Wette. Von Schminkschichten zubetonierte Gesichter verhinderten ein Lächeln, wenn der Juror sein Urteil sprach. Ein Mann, der nicht nur so aussah wie einst Eduard Zimmermann, sondern auch so dreinschaute wie Eduard Zimmermann, wenn dieser in Aktenzeichen XY als Conférencier des ungelösten Grauens ankündigt hatte: "Meine Damen und Herren, und jetzt handelt es sich wieder einmal um Mord."

Glitzer und Show – der Amerikanismus, kopiert und landesspezifisch interpretiert, macht eben vor keiner Grenze Halt. Danach die Fahrt durch endlose Weiten. Wald und Wiese bis zum grünen Ende des Horizonts. Dörfer, verfallene Häuser, deren Bewohner mit dem Interesse an der nach glatter Sauberkeit trachtenden EURO kaum in Verbindung gebracht werden.

Rückblicke

Erinnerungen an die Massen, die sich durch Kiews Fanzone wälzen. In die Fußstapfen jener Tausenden Menschen tretend, die 2004 geglaubt hatten, auf dem nahe liegenden "Platz der Unabhängigkeit" mit ihrer Orangen Revolution ein neues, besseres Leben zu beginnen. Die EURO hat sie jetzt mit Europa bekannt gemacht, besser ist das Leben aber nicht geworden.

"Sie hätten eigentlich nur zwei Päckchen Zigaretten mitnehmen dürfen", stellt sich der polnische Zöllner ans Ende des Gedankengangs. Was, schon so weit? "Na gut. Gute Fahrt".

Schon ist die Ukraine Teil der persönliche Geschichte. Ein Anflug von Traurigkeit. Aber es wird ein Wieder­sehen geben. Irgendwann. Ohne die Fußball-Europameisterschaft als ständig ablenkender Reisebegleiter.

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