Autofahren in der Ukraine heißt stehen

Anstoß: Gipfeltreffen
Im ukrainischen Straßenverkehr sollte man am besten viel Zeit haben und völlig nüchtern bleiben
Bernhard Hanisch

Bernhard Hanisch

Gelber Kleinbus von rechts. Zunächst ist das UKO, das unbekannte Kriechobjekt, nur als schwarze Wolke auszumachen. Neben dem vierrädrigen Schrotthaufen rollt das neueste Audi-Modell vor sich hin. Hinter dem Steuer eine stur geradeaus gerichtete Sonnenbrille. Auf äußerster Spur auch irgendein Fortbewegungsmittel. Dahinter Blech, wohin das eigene Auge reicht. Links abbiegen, dann gleich wieder rechts, lautet die Aufgabe. Der Gegenverkehr der Blechlawine sei vorerst einmal ignoriert. "Biegen Sie links ab." "Biegen Sie ..." "Maul halten." Das Navi wiederholt sich trotzdem, trampelt wie eine keifende Schwiegermutter auf den Nerven herum. Schade, das Verhältnis war noch vor wenigen Minuten geprägt von scheinbar unerschütterlicher Dankbarkeit. Ein Rundblick verheißt nichts Gutes. Auf beiden Seiten harren die Mitkonkurrenten auf ihre Chance. Nichts geht mehr. Aussteigen und einfach wegrennen? Aber wohin? Einen Mord begehen? Zwecklos, es sind zu viele.

Duell

Autofahren in der Ukraine heißt stehen

Autofahren in ukrainischen Ballungsgebieten bedeutet stehen. Faustregel ist: Es gibt keine Regel. Verkehrsschilder – wenn überhaupt auffindbar – dienen als Zierde im Grau der Abgase. Im Reiseführer steht geschrieben: Beleuchtung und Beschilderung sind meist mangelhaft. Gelogen hat der Verfasser jedenfalls nicht. Eine hochfrequentierte Kreuzung ist nur mit dem Gewinn unzähliger Duelle zu bewältigen. Mit Asphalt-Cowboys, die unerbittlich sind in ihrem Vorhaben, den Vorrang zu rauben. Freundlich lächeln, sehr böse bis ziemlich blöd dreinschauen, oder nackte Verzweiflung als ohnehin dauerhafter Gesichtsausdruck helfen nicht weiter. Das Warten auf den zuvorkommenden Wink bleibt so wahrscheinlich wie Österreichs Teilnahme an dieser Fußball-Europameisterschaft. Im Kreuzungsbereich stehen die Autos aus sämtlichen Richtungen Schnauze an Schnauze. Doch die Blicke der Fahrer treffen einander nicht. Fäuste schlagen auf Hupen, die Füße verkrampfen im Wechselspiel zwischen Gas- und Bremspedal. Es geht um Zentimeter. Der persönliche Rekord, unlängst aufgestellt in Lviv: 25 Minuten für den simplen Abbiegevorgang. Interessant und individuell gestaltbar ist auch so eine Überlandpartie. Schnellstraße? Landstraße? Ortsgebiet? Autostraße durch Ortsgebiet? Man weiß oft nicht genau, worauf man sich gerade befindet. Beginnt irgendwo eine Geschwindigkeitsbegrenzung, die als solche auch gut sichtbar gekennzeichnet ist, endet sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit im Nirgendwo. Also wähle man zwischen 110, 90, oder 50, dort wo in Wahrheit 70 km/h erlaubt sind. Eine Lotterie, bei der gut getarnte Polizisten immer wieder ihre Volltreffer landen.

Überraschungen

Schnellstraßen werden plötzlich zerhackt von Zebrastreifen, erlauben das scharfe Abbiegen nach links oder werden von Kühen überquert. Einbildung ausgeschlossen, denn es gilt die gestrenge 0,0-Promille-Vorschrift auf ukrainischen Straßen. Übrigens: Das Verhältnis zum Navi ist auch wieder im Lot. Vielleicht war`s ein schlichter Anflug von Eifersucht. Denn in den Städten kann es durchaus passieren, dass sich ein(e) Einheimische(r) anbietet, einfach einzusteigen und den Verirrten wieder auf den rechten Weg zu bringen. Selbstverständlich ganz ohne Hintergedanken, und ohne sich dauernd nervtötend zu wiederholen. Ja, sie können auch sehr zuvorkommend sein, die Ukrainer im Straßenverkehr.

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