Jedem Brasilianer sein Verein

Jedem Brasilianer sein Verein
Cacau

Cacau

Der Fußball ist eines der bestimmenden Themen im WM-Land. Selbst in den Familien regiert der Ball.

von Cacau

über brasilianische Vorbestimmungen

Mit meinem Schwiegervater verstehe ich mich bestens – solange das Gespräch nicht auf Fußball kommt. Denn er ist eingefleischter Fan des FC Santos. Das ist jener Verein, bei dem Pelé und Neymar groß geworden sind. Und ich bin Anhänger von Corinthians, jedenfalls in Brasilien, und lasse ebenso wenig auf meinen Klub kommen wie mein Schwiegervater auf seinen. Wir können uns deshalb herrlich streiten, wenn es beim Thema Fußball nicht gerade – wie im Moment – nur um die Nationalmannschaft geht.

In Brasilien sucht man sich seinen Fußballverein nicht aus, er ist vorbestimmt. Meine Eltern sind beide Anhänger von Corinthians, selbstverständlich sind wir Kinder auch welche geworden. Es ist kaum vorstellbar, dass sich einer uns von dreien für Palmeiras entschieden hätte, oder gar für den FC São Paulo. Das wäre ein bisschen so, als würde in Deutschland der Sohn eines Schalke-Fans plötzlich mit Borussia Dortmund sympathisieren, nein, es wäre sogar noch schlimmer.

Keine Zufälle

Die Sympathien meines Vaters gingen so weit, dass er meine Mutter überredete, dem erstgeborenen Sohn den Namen seines damaligen Lieblingsspielers bei Corinthians zu geben. Das ist der Grund, weshalb mein älterer Bruder den in Brasilien eher seltenen Namen Vlademir trägt.

Dass die Wahl meiner Eltern auf Corinthians fiel, war ebenso wenig Zufall wie bei mir – vermutlich sind auch sie schon von ihren Familien beeinflusst worden. Die Vorliebe für einen Klub hängt hier in Brasilien immer auch von der Schicht ab, aus der man kommt, oder sogar von der Hautfarbe.

Viele Vereine sind Symbole für verschiedene Weltanschauungen, wenngleich die Trennung nicht mehr so strikt ist wie früher einmal. Der FC São Paulo war stets der Klub der Wohlhabenden, Corinthians eher der der Unterschicht. In Rio de Janeiro gibt es gleich vier große Vereine, und jeder steht für eine andere Bevölkerungsgruppe: Fluminense für die Reichen, Flamengo für die Bewohner der Favelas, Botafogo für die Intellektuellen und Vasco da Gama für die Mittelschicht, die Handwerker.

Jeder in Brasilien fühlt sich einem Klub zugehörig, selbst diejenigen, die nie ins Stadion gehen und den Unterschied zwischen einem 4-4-2- und einem 4-2-3-1-System nicht kennen.

Keine Toleranz

Meine Kinder wollte ich eigentlich nicht beeinflussen. Sie sollten sich ihren Lieblingsklub selbst aussuchen. Aber dann schenkte mein Schwiegervater seinem Enkelkind ein Trikot des FC Santos – und da musste ich dann doch einschreiten. Mein Sohn, stellte ich klar, würde Corinthians-Fan werden und niemals als Anhänger das Trikot eines anderen brasilianischen Vereins tragen.

Zum Glück folgte Levi seinem Vater. Er hat mehrere Lieblingsvereine, aber in Brasilien entschied er sich für den einzig richtigen Klub – in meinen Augen.

sport@kurier.at

Cacau kam als Claudemir Jerônimo Barreto 1981 zur Welt und wuchs in Mogi das Cruzes im brasilianischen Bundesstaat São Paulo auf. 1999 kam er nach Deutschland. Er stürmte 23-mal für das deutsche Nationalteam und zuletzt beim VfB Stuttgart.

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